Die Entscheidung
betrachtete Laney einen Moment lang, als müsste sie erst überlegen, ob es klug wäre, ihr zu antworten. Doch dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus.
„Ist das nicht offensichtlich? Ich bin Darreks Schwester“, erklärte sie.
Laney spürte, wie ihr Mund aufklappte, und beeilte sich ihn wieder zu schließen.
„Aber … Akima … ich meine …“
„Ich bin nicht die Tochter von Akima“, erklärte Johanna. „Ich bin die Tochter von Darreks Vater Niklot. Normalerweise sind Geschwister der väterlichen Seite nicht so wichtig bei uns. Aber meine Mutter starb sehr früh und ich hatte auch keine Großeltern mehr. Daher hat Niklot mich großgezogen, und als Darrek zu Besuch kam, hat er bei uns gewohnt.“
Laney nickte.
„Und das Mädchen und Einar?“
„Meine Urenkel. Sie sind Geschwister.“
„Sie sind sehr nett.“
Johanna lächelte.
„Ja. Das sind sie in der Tat. Du siehst müde aus, Mädchen. Du solltest dich ein wenig hinlegen. Swana hat im Zimmer gegenüber das Bett gemacht. Es ist eigentlich ihr Zimmer, aber sie benutzt es fast nie, weil sie lieber bei mir lebt. Deswegen konnten wir auch Darrek nicht so schnell dort ablegen.“
„Und wo ist ihre Mutter?“
Johannas Miene verfinsterte sich.
„Fort. Ich denke, das waren mehr als genug Fragen für einen Abend, Kind. Du wirst noch früh genug Antworten erhalten. Leg dich doch einfach schlafen.“
Misstrauisch zog Laney die Augenbrauen zusammen. Irgendetwas kam ihr an der alten Dame komisch vor. Darreks Schwester hin oder her. Laney kannte sie nicht und sie hatte nicht vor, das Risiko einzugehen, dass er vergiftet oder erstickt wurde, nachdem sie ihn unter so großen Mühen hergebracht hatte.
„Ich werde nicht schlafen gehen“, erklärte Laney. „Ich muss noch meine Wunden verbinden und möchte Darrek nicht allein lassen. Falls er plötzlich Atemaussetzer haben sollte, möchte ich in seiner Nähe sein.“
Als Laney Johannas bösen Blick bemerkte, stutzte sie. Die Augen der alten Dame sprühten Funken, und es schien tatsächlich, als wollte sie Darrek ganz für sich alleine haben. Und dann? Was hatte sie dann mit ihm vor? Nein. Laney würde heute Nacht nicht von seiner Seite weichen. Sobald er wieder bei vollem Bewusstsein war, konnte er selbst entscheiden, ob er seine Schwester in der Nähe haben wollte oder nicht. Aber bis dahin würde sie ein Auge auf ihn halten. Und zwar ohne Kompromisse.
Unter Johannas unzufriedenen Blicken zog Laney sich einen Stuhl neben Darreks Bett und suchte dann nach dem Erste-Hilfe-Kit, das sie in Reykjavik gekauft hatten. Sie holte es aus ihrem Rucksack und fing in aller Ruhe an ihre malträtierten Füße zu versorgen.
William langweilte sich. Sie waren noch nicht einmal einen Tag mit dem Schiff unterwegs und er hatte bereits das Gefühl, einen Seekoller zu bekommen. Das lag allerdings nicht an dem Schiff selber, sondern daran, dass er mit niemandem reden konnte. William war schon immer ein sehr mitteilsamer Mann gewesen und hasste es sich zu isolieren. Doch im Moment blieb ihm anscheinend keine andere Wahl.
Sich unbemerkt mit an Bord zu begeben war nicht schwierig gewesen. Alain spürte zwar seine Gegenwart, aber solange William unsichtbar war, konnte auch er ihn nicht genauer lokalisieren. Außerdem hatte der Kaltblüter im Prinzip nichts gegen William. Genauso wenig wie seine Schwester Annick. Im Gegenteil. Eigentlich mochten die beiden William und wollten ihm nichts Böses. Aber da sie sich im Gegensatz zu ihm nicht unsichtbar machen konnten, fürchteten sie den Zorn von Akima zu sehr, als dass sie sich gegen Liliana aufgelehnt hätten.
Liliana hielt sich tagsüber die meiste Zeit draußen an Deck auf, weil sie keine Lust hatte, bei Annick und Alain zu bleiben. Und William begann sich zu fragen, ob es nicht vielleicht doch möglich wäre, mit den beiden in Kontakt zu treten, ohne sich einer Gefahr auszusetzen.
„Du kannst dich gerne zu uns setzen“, sagte Annick in diesem Augenblick, als hätte sie seine Gedanken gehört.
Sie sprach sonst nie einfach so. Da Alain sie auch ohne Worte verstand und Liliana nicht da war, war es eindeutig, dass sie William meinen musste. Aber William zögerte.
„Komm schon“, sagte Annick lächelnd und teilte für drei Personen Karten aus. „Ich weiß zwar nicht genau, wo du bist. Aber ich weiß, dass du da bist. Und Liliana ist nicht hier. Es wird dich also niemand angreifen.“
Alain nickte zustimmend und griff nach seinen Karten.
William zögerte noch immer. Er
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