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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Siebern
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Ohne den Einsatz der Giftzähne war es sehr viel leichter, einen Menschen am Leben zu lassen. Man trank von ihm, wünschte ihm noch einen schönen Tag und ging seiner Wege. Das Gift jedoch verwandelte die Menschen in Wilde. Eine Tatsache, die dem Dorf seit zwanzig Jahren in den Vollmondnächten Probleme bereitete. Es war daher besser, beim Trinken die Zähne nicht zu verwenden oder das Opfer vorsichtshalber zu töten.
    Als der junge Mann auf Johanna zukam, schluckte sie. Es war schon so lange her, dass sie frisches Menschenblut getrunken hatte. Während es in Johannas Jugend noch einfach gewesen war, Menschen verschwinden zu lassen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte, wurde es im Zeitalter der modernen Technologien immer schwieriger. Jeder Mensch wurde nach seiner Geburt akribisch dokumentiert. Seine Identität, sein Alter, Adresse, Größe und sogar die Augenfarbe. Alles wurde genauestens notiert. Das Einzige, was man noch nicht festhielt, waren Gewicht und die sexuelle Orientierung. Johanna vermutete aber, dass auch diese Informationen irgendwann einmal im Reisepass stehen würden.
    Tatsache war, dass die Menschen auf der Hut waren. Die Regierungen wussten über die Existenz von Vampiren Bescheid und hatten mit den Ältesten und ihren Anhängern ein Abkommen geschlossen. Johanna und ihre Leute hingegen existierten offiziell gar nicht. Geächtet, verachtet, von niemandem gewollt.
    Die anderen Warmblüter nannten sie die Aussätzigen oder die Outlaws, weil sie nicht zur Gesellschaft gehörten und nirgendwo erwünscht waren. Dabei waren doch ursprünglich die Ältesten die Außenseiter gewesen. Bevor die Schwestern vor so vielen Jahren den Schlaftrunk entdeckt hatten, war das Leben aller Warmblüter genauso gewesen wie das von Johannas Leuten. Sie hatten sich zu Gruppen zusammengefunden und sich gegenseitig geschützt. Sie hatten Menschen auf der Straße aufgesammelt, um sich und ihre Familien zu ernähren. Sie waren geboren worden, hatten gelebt und waren gestorben. Doch der Schlaftrank hatte alles verändert. Er hatte den Schwestern Macht verliehen. Eine Macht, die sie in sich aufsogen und sich zu eigen machten, bis man das Gefühl hatte, sie wäre mit ihnen verschmolzen.
    Johanna überlegte, was sie tun sollte, als der junge Mann näher kam. Er wirkte nicht, als stamme er aus der Gegend. Die Menschen Islands wussten, dass sie der Siedlung nicht zu nahe kommen durften. Zu häufig waren in der Vergangenheit Unfälle geschehen, die den Menschen Angst machten. Die Siedlung schien verflucht zu sein und niemand kam freiwillig in die Nähe. Niemand außer unbedarften Touristen wie diesem jungen Mann, die nicht an Märchen glaubten und all das Gerede für Aberglauben hielten. Vampire gab es doch nur in Legenden.
    „Guten Tag auch“, flötete der junge Mann, als er fast auf ihrer Höhe war. Er hatte einen starken irischen Akzent, doch sein Englisch war klar genug, damit Johanna es verstehen konnte. „Ein wunderschönes Wetter heute, nicht wahr?“
    Johanna betrachtete den Mann eingehend. Wie sie bereits festgestellt hatte, war er noch jung. Um die zwanzig. Nicht sonderlich kräftig, aber auch nicht schmächtig. Seine Haare waren karottenrot und er hatte Sommersprossen im Gesicht. Er trug ein rot kariertes Holzfällerhemd und einen grünen Pullover darüber. An seiner Brust hing eine Silberkette mit einem Kreuz. Seine Jacke hatte der Junge sich um die Hüften gebunden. Seine Unschuld rührte sie und machte ihr die Entscheidung schwerer, die sie zu treffen hatte. Sie jagte nach ganz bestimmten Prinzipien.
    Schwache und Kranke erlöste man zuerst. Leitpersonen und stillende Mütter wurden verschont. Man nahm nur, was man auch verwenden konnte, oder musste es bis zum Verzehr sicher verwahren. Manche Vampire jagten auch nach Trophäen, fotografierten ihre Opfer oder nahmen sich ein Andenken mit. Aber davon hielt Johanna nichts. Die Jagd war für sie einfach eine Notwendigkeit, der man nachging, weil sie das Überleben sicherte. Sie konnte zwar nicht abstreiten, dass sie Spaß dabei hatte, doch es war nichts, was mit Grausamkeit zu tun hatte.
    „Gud“, gab Johanna zurück. „Gud Wetter.“
    Sie wusste, dass ihr Englisch etwas unbeholfen klang, aber sie hatte die Sprache immer besser verstehen als sprechen können. In der Siedlung wurde Englisch zwar gelehrt und die Jungvampire beherrschten es alle sehr gut. Aber untereinander sprachen sie nur Isländisch. Johanna beherrschte außerdem die alte Vampirsprache, die schon zur

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