Die Entscheidung
würde sagen: nein. Aber ich bin mir da nicht so sicher. Er hatte immer schon Probleme damit, sich seine Gefühle einzugestehen. Die einzige Zeit, in der er völlig zügellos leben konnte, war bei den Outlaws. Aber seit er zu den Ältesten zurückgekehrt ist, hat er lernen müssen, sich zu beherrschen. Seine Schwester und Kara waren sein einziger Halt. Und ich war lange einer seiner wenigen Freunde. Ich habe ihm einmal auf der Jagd das Leben gerettet. Seither stand er in meiner Schuld. Ich verstehe heute noch nicht, wie er es geschafft hat, sich nur wegen Kara so zu verändern.“
„Liebe und Hass liegen nah beieinander, Jason. Wir können nur jemanden hassen, der uns wichtig ist. Ansonsten wäre das Gefühl verschwendet.“
Jason sah auf. Er war Kathleen so dankbar dafür, dass sie bei ihm war. Sie hielt zu ihm, egal, welche Probleme er mit sich herumschleppte. Und sie hörte ihm zu, selbst wenn es ihr Schmerzen bereitete, von seinen Gefühlen für Kara zu erfahren. Aus einem Impuls heraus beugte er sich nach vorne und zog Kathleen zu sich heran, um sie zu küssen. Sie reagierte sofort auf ihn.
Sie drückte sich an ihn und wurde von Hitzewellen durchfahren, die augenblicklich auf ihn übersprangen und Lust nach mehr entfachten. Jason zog sie auf seinen Schoß und umarmte sie, als müsste er der ganzen Welt beweisen, dass sie zu ihm gehörte.
„Ich liebe dich, Kathleen“, sagte er atemlos. „Ich bin so froh, dass ich dich habe. Und dass Laney dich verwandelt hat, war das Beste, was mir je widerfahren ist.“
Kathleen stieß ein leises Kichern aus, während sie an seinem Hals knabberte.
„Das hast du die ersten Monate aber nicht so gesehen“, erinnerte sie ihn. „Ich weiß noch, dass du mit mir deine liebe Not hattest.“
„Ja. Aber nur, weil ich mir eingebildet habe, mich den Regeln und Gesetzen der Warmblüter unterwerfen zu müssen. Wären wir einander gleichgestellt, dann hätte ich dich vermutlich schon viel eher ins Bett gezerrt.“
Kathleen löste sich von Jason und sah ihn verletzt an.
„Jason. Wir sind einander gleichgestellt. Ich weiß, dass du hundert Jahre lang etwas anderes geglaubt hast. Aber du musst aufhören, so zu denken. Die Welt hat sich verändert. Sie hat sich weitergedreht. Manchmal glaube ich, dass eure verdammte Unsterblichkeit euch resistent macht gegen jede Art von Veränderungen.“
Als Kathleen aufstehen wollte, hielt Jason sie fest und drückte sie an sich.
„Geh nicht“, bat er. „Bitte, Kath. Ich … Es tut mir leid. Dieser Kommentar war dumm und unüberlegt von mir.“
„Du hast ja keine Ahnung, wie schwierig das alles für mich ist, Jason. Wir sind jetzt seit über fünfzehn Jahren verbunden. Und trotzdem fühle ich mich immer noch fremd in deiner Welt. Und weißt du warum? Wegen Äußerungen wie der von gerade eben. Ich komme gut damit zurecht, dass du ein Leben vor mir hattest, Jason. Das hatte ich schließlich auch. Aber ich will, dass du dir jetzt sicher mit mir bist.“
Traurigkeit schwappte von ihr auf ihn über und Jason bekam ein furchtbar schlechtes Gewissen. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und strich ihr liebevoll über den Rücken. Er wollte die negativen Gefühle von ihr fortwischen, bis sie seine Worte vergessen hatte.
„Es tut mir so leid, Kathleen. Manchmal bin ich immer noch wie ein dummer Schuljunge, der redet, ohne vorher darüber nachzudenken. Verzeih mir.“
Er küsste ihren Hals und ein wohliger Schauer überlief Kathleen.
„Du kämpfst eindeutig mit unfairen Mitteln“, knurrte sie.
Aber dann gab sie nach und drückte sich wieder an ihn. Sie konnte Jason nie lange böse sein und es war Unsinn, sich wegen solcher Kleinigkeiten zu streiten. Ein Krieg stand bevor und sie hatten keine Ahnung, wo Laney war.
Es war nicht sicher, ob einer von ihnen in ein paar Monaten noch leben würde. Insofern sollten sie die Zeit, die ihnen blieb, lieber mit erfreulichen Dingen verbringen. Streiten konnten sie nach dem Krieg schließlich immer noch.
Kapitel 2
Die Aussätzigen
Johanna Mirjanasdottier liebte Island. Sie liebte die Berge und die Kälte, die Natur und die frische Luft. Städte und Menschenansammlungen waren ihr zuwider. Das hatte sie im Laufe ihrer einhundertzehn Lebensjahre ausgiebig feststellen können. Und auch wenn ihr Körper schon seit langem nicht mehr auf dieselbe Art gehorchte wie in ihrer Jugend, war sie immer noch gut zu Fuß. Johanna hatte das Pech gehabt, alle ihre Kinder zu verlieren, bevor sie selbst diese Welt
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