Die Entscheidung
Ansichten übernommen. Und während ihrer Gespräche mit Einar war ihr klar geworden, dass sie sehr viel Toleranz benötigen würde, um in diesem Dorf zurechtzukommen.
Die Outlaws waren einfach von Grund auf anders als Laneys Familie. Ihre Lebensweise, ihr Familienverständnis und ihre Sichtweise auf die Kaltblüter und die Menschen unterschieden sich grundlegend von den Ansichten, mit denen Laney aufgewachsen war. Aber trotz allem wollte Laney versuchen, die Outlaws nicht als Feinde zu betrachten. Einar war ein wirklich netter Kerl. Er hatte sie überall im Dorf herumgeführt und sie am Ende ohne lange Diskussionen zurück zu dem Haus gebracht, das offensichtlich Einars verstorbener Mutter gehört hatte.
„Es tut mir leid, dass ich die Kleidung einfach genommen habe“, sagte Laney kleinlaut, während sie die Winterstiefel und die dicke Jacke unten im Flur wieder auszog. „Ich wusste ja nicht, dass sie deiner Mutter gehört hat.“
Es war ihr unangenehm zu wissen, dass die Besitzerin der Kleidung inzwischen tot war. Ihre Tat erschien ihr fast, als hätte sie die Ruhe von Viktoria gestört, was absolut nicht ihre Absicht gewesen war.
„Schon gut“, sagte Einar schulterzuckend. „Sie braucht die Sachen ja sowieso nicht mehr.“
Laney sah den jungen Mann abschätzend an, um herauszufinden, ob er die harten Worte ernst meinte. Doch seine Miene gab nichts preis. Ganz offensichtlich hatte er zu seiner Mutter kein sonderlich gutes Verhältnis gehabt. Was eigentlich verwunderlich war, weil er Johanna, Swana und die kleine Mady sehr zu lieben schien. Auch sein kleiner Bruder Janish bedeutete ihm viel. Aber der junge Mann hatte sicherlich seine Gründe dafür, dass er seine Mutter nicht mochte.
„Nun ja … Vielleicht könntest du mir trotzdem sagen, wo meine eigenen Sachen sind. Nach dem Duschen konnte ich meine Jacke und meine Schuhe nicht mehr finden. Ich würde mich aber wohler fühlen, wenn ich die Kleidung deiner Mutter nicht mehr einfach so nehmen müsste.“
„Swana hat deine Sachen gewaschen. Sie waren völlig verdreckt. Ich denke, es wird noch eine Weile dauern, bis sie vollständig getrocknet sind. Es sei denn, wir hängen alles vor den Kohleofen. Dann müsste es etwas schneller gehen.“
Erstaunt zog Laney eine Augenbraue hoch. Die Outlaws heizten also mit Kohle. Des Weiteren verwendeten sie abends Kerzen und hatten kaum Elektrizität. Die Kleidung der Outlaws war schlicht und offensichtlich selbst genäht. Alles erweckte in Laney das Gefühl, als wäre sie in eine Zeitspirale geraten und in einem anderen Jahrhundert wieder aufgewacht. Wie konnte es sein, dass diese Vampire, nur wenige Stunden von menschlicher Zivilisation, so völlig abgeschottet lebten?
„Wir sind keine Hinterwäldler“, sagte Einar, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Wir gehen immer wieder in die Stadt. Zumindest diejenigen unter uns, die alt genug sind, um sich zu beherrschen. Aber wir lieben die Autonomie. Wir wollen von nichts abhängig sein. Daher bauen und nähen wir alles selbst, was wir brauchen. Es gibt nur ein einziges Gebäude im Dorf, das vollständig Elektrizität hat. Und das ist unser Labor.“
„Ach ja?“
Erstaunt sah Laney ihn an.
„Ja. Johanna hat es vor knapp sechzig Jahren einrichten lassen, als sie davon gehört hat, dass man Kunstblut selbst herstellen kann. Seit zwanzig Jahren arbeitet Anisia jetzt in dem Labor. Sie hat in der Menschenwelt Pharmazie studiert und hat die Rezeptur seit damals erheblich verbessert. Das Zeug muss am Anfang einfach grauenhaft geschmeckt haben. Aber wahrscheinlich war es immer noch besser als das Blut der Schafe und Ziegen. Bah.“
Laney lächelte. Sie war überrascht zu sehen, dass die Outlaws sich tatsächlich Tiere hielten. Aber anscheinend war das notwendig, um ihnen so weit draußen das Überleben zu sichern.
„Ich habe noch nie Tierblut getrunken“, gab Laney zu.
„Da hast du nichts verpasst. Es schmeckt einfach widerlich.“
„Was passiert, wenn ein Tier gebissen wird?“
„Nichts. Zum Glück. Denn glaub mir … das passiert immer wieder. Die Kinder mögen das Blut zwar auch nicht so gerne, aber wenn sie hungrig sind, nehmen sie, was immer sie kriegen können.“
Laney nickte. Dafür hatte sie durchaus Verständnis. Als sie sah, dass Einar Anstalten machte, mit nach oben zu kommen, gähnte sie spontan, um ihm zu signalisieren, dass seine Anwesenheit unerwünscht war.
„Oh, bin ich müde“, sagte sie. „Ich denke, ich werde mich noch mal
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