Die Entscheidung
Tür. Laney würde nicht klopfen. Da war er sich absolut sicher. Solange er ihr Patient war, nahm sie es als Selbstverständlichkeit, jederzeit nach ihm sehen zu können. Insofern musste es einer der Outlaws sein.
„Ja“, rief Darrek und sah zur Tür.
Herein trat eine rüstige Dame in einem langen Kleid, mit einem Gehstock in der Hand. Ihr Körper war leicht nach vorne gebeugt und sie war sehr klein. Aber ihr hoch erhobenes Haupt drückte Stolz aus. Darrek betrachtete sie von oben bis unten.
„Hallo Darrek“, sagte die Frau in der alten Sprache.
Darrek schluckte. War das … Konnte das …? Irritiert schüttelte er den Kopf.
„Johanna?“, fragte er unsicher und die alte Frau lächelte traurig, wodurch nur ihre Giftzähne zum Vorschein kamen.
Sie senkte kurz den Blick, um ihm dann wieder fest in die Augen zu sehen. Grüne, wache Augen. Das Einzige, was sich in den letzten siebzig Jahren kaum verändert hatte.
„Willkommen, mein Bruder“, sagte Johanna und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Laney in dieser Nacht geschlafen hatte.
Darrek räusperte sich.
„Danke, Systir. Es freut mich, dich bei guter Gesundheit anzutreffen.“
„Und mich freut es, dass du dich in den letzten siebzig Jahren kein bisschen verändert hast.“
Darrek lächelte. Johanna war schlagfertig wie eh und je. Natürlich war ihr klar, dass sie sich im Gegensatz zu ihm sehr wohl verändert hatte, aber das störte sie nicht im Geringsten. Das war etwas, das er immer an ihr bewundert hatte. Egal welche Widrigkeiten das Leben ihr auch in den Weg legte, sie hatte es immer geschafft, sich ihren Optimismus zu bewahren.
„Wie geht es deiner Schwester Larissa?“, fragte Johanna.
„Gut. Sie schläft im Moment, aber in ein paar Jahren werde ich sie wiedersehen.“
„Es ist ziemlich ungerecht, oder? Dass du damals ihretwegen zurück zu den Ältesten gegangen bist, um sie dann bloß alle zehn Jahre mal für ein paar Tage zu sehen zu bekommen.“
Darrek betrachtete Johanna eingehend. Larissa war nicht der einzige Grund für Darreks Rückkehr gewesen. Oder zumindest war sie nicht der einzige Grund dafür gewesen, dass er sich dauerhaft von den Outlaws ferngehalten hatte. Aber die genauen Gründe kannte Johanna nicht und sollte sie wohl auch besser nie erfahren.
„Larissa geht es gut“, wiederholte Darrek. „Das ist das Wichtigste.“
„Ja. Da hast du wohl recht. Das Mädchen, das du mitgebracht hast, hat mir erzählt, dass sie Karas Tochter ist. Ich brauche dann wohl gar nicht erst fragen, ob du es geschafft hast, Kara zu einer Beziehung zu überreden.“
Darrek zuckte bei diesen Worten kaum merklich zusammen. Johanna gehörte zu den Wenigen, die wussten, wie viel ihm seine Cousine bedeutet hatte. Aber offensichtlich hatte sie noch nicht von den Geschehnissen vor fünfzehn Jahren erfahren. Der Kontakt zwischen dem Gefolge der Ältesten und den Outlaws war sehr gering.
„Nun. Nein. Das ist mir nicht geglückt. Kara ist mit einem anderen Mann vom Hofe der Ältesten geflohen und hat dementsprechend die Konsequenzen tragen müssen. Sie ist vor einigen Jahren verstorben.“
„Sie ist tot?“, fragte Johanna überrascht. „Wer war es?“
„Ich“, sagte Darrek emotionslos und starrte seine Schwester an.
Johanna legte einen Finger an den Mund, als ob sie zuerst über diese Information nachdenken müsste.
„Du standest unter Akimas Befehl“, schlussfolgerte sie dann.
Erstaunt zog Darrek eine Augenbraue nach oben.
„Woher …“
„Darrek. Du magst ein Mistkerl sein. Du hast deinen Vater und mich damals zu einer Zeit verlassen, als wir dich dringend gebraucht hätten. Du bist unzuverlässig und kalt. Aber niemals hättest du es aus eigener Kraft über dich gebracht, Kara etwas anzutun. Zumindest damals nicht. Der Darrek, den ich kannte, war zwar besitzergreifend und eifersüchtig, aber auch sehr beherrscht. Ein Verbrechen aus Leidenschaft ist nicht dein Stil. Vor allem nicht, da aus der Beziehung offensichtlich ein Kind hervorgegangen ist.“
Darrek versuchte sich etwas weiter aufzusetzen, um Johanna besser ins Gesicht sehen zu können.
„Ich wusste damals nichts von Laney“, gab er zu. „Aber du hast trotzdem recht. Aus freien Stücken hätte ich Kara das niemals angetan.“
„Weiß sie es?“
„Dass ich ihre Mutter getötet habe? Ja. Das weiß sie.“
„Nein. Ich meine … dass du nichts dafür konntest.“
Darrek hielt inne. Natürlich hatte er Laney gesagt, dass er unter Akimas Bann gestanden hatte, aber er
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