Die Entscheidung
war sich nicht sicher, inwiefern sie ihm das glaubte. Als er sie als kleines Mädchen gefunden hatte, war er schließlich wieder Herr seiner Sinne gewesen. Und ohnehin war es wahrscheinlich schwer für sie, sich vorzustellen, überhaupt keine Kontrolle über den eigenen Körper zu haben.
„Ich … bin mir nicht sicher. Ich habe es ihr gesagt, aber ich weiß nicht, ob sie es wirklich versteht“, gab Darrek zu. „Sie ist sehr behütet aufgewachsen. Jason … Jason war ihr ein guter Vater.“
Es war das erste Mal, dass Darrek sich diese Tatsache eingestand. Bisher hatte er sich immer große Mühe gegeben, Jason als den Bösen zu sehen, der Karas Tod verursacht hatte. Aber eigentlich war Jason durch Karas Tod nun wirklich schon genug gestraft worden. Und nicht nur das. Er musste nun auch noch mit der Bürde zurechtkommen, als erster Warmblüter mit einer Kaltblüterin verbunden zu sein. Wahrscheinlich würde er sich freuen, dass Cynthia seinem Beispiel gefolgt war und sich ebenfalls an einen Kaltblüter gebunden hatte.
Als Darrek bei seiner nächsten Bewegung wieder das Gesicht verzog, legte Johanna ihm besorgt eine Hand auf den Arm.
„Wenn du Schmerzen hast …“, begann sie. „Wir haben eine gute Heilerin hier, die dich für einen Tag in Heilschlaf versetzen kann. Danach bist du so gut wie neu. Ich wollte sie eigentlich schon gestern kommen lassen, aber deine kleine Laney schien die Situation ganz gut im Griff zu haben. Wahrscheinlich hätte sie sowieso keinen Fremden an dich ran gelassen. Und du warst ja nicht lebensgefährlich verletzt. Also …“
„Einen Tag schlafen?“, fragte Darrek. „Das klingt verlockend. Aber nein danke. Ich bevorzuge es, bei Bewusstsein zu bleiben.“
Johanna nickte und strich dann nachdenklich über die Bettdecke.
„Darrek“, sagte sie dann sanft. „Warum bist du hier? Ich freue mich riesig dich zu sehen, aber mir ist bewusst, dass das hier kein Höflichkeitsbesuch ist. Also … erzähl mir, was du willst. Vielleicht … vielleicht können wir uns ja gegenseitig helfen.“
„Ich … Moment mal“, hielt Darrek inne. „Was meinst du damit, uns gegenseitig helfen? Was für ein Problem habt ihr denn?“
Johanna seufzte. Und jetzt erst sah Darrek, wie tief die Sorgenfalten sich in ihr einst so fröhliches Gesicht eingegraben hatten. Zur damaligen Zeit hatte sie als eine der hübschesten Frauen des Dorfes gegolten und jeder Mann war hinter ihr her gewesen. Doch es war deutlich zu erkennen, dass sie in den letzten Jahren viel Kummer erlitten hatte.
„Johanna“, sagte Darrek eindringlich und griff nach ihrer Hand. „Was ist geschehen?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Ich liebe lange Geschichten. Vor allem, wenn ich ans Bett gekettet bin. Das weißt du doch.“
Johanna lächelte und fing dann an zu erzählen.
Als seine Schwester ihre Geschichte beendet hatte, konnte Darrek sie einen Moment lang nur anstarren. Es fiel ihm schwer zu glauben, was Johanna ihm soeben berichtet hatte. Das Dorf der Outlaws, die der Schrecken aller Menschen und Kaltblüter waren, wurde heimgesucht von einem begabten Wilden? Und das schon seit zwanzig Jahren? Unfassbar.
„Warum habt ihr nicht nach mir geschickt?“, fragte Darrek mit starrem Blick.
Island war für ihn immer sein geistiger Zufluchtsort gewesen. In all den Jahren, die er bei den Ältesten verbracht hatte, war er in Gedanken immer wieder an diesen Ort der Freiheit und Zügellosigkeit zurückgekehrt. Die Outlaws waren gute Jäger. In der Vergangenheit hatten sie alle Wilden innerhalb kürzester Zeit erlegt. Aber wie es aussah, war mit Darreks Vater auch seine Gabe gestorben, zu wissen, wo man nach den Wilden zu suchen hatte.
Das bedeutete dann allerdings auch, dass er und Laney völlig umsonst hergekommen waren.
„Anfangs dachten wir noch, dass wir das Problem selbst in den Griff bekommen würden“, erklärte Johanna. „Wir haben selber Gaben und bisher war es nie ein Problem, die Wilden zu finden. Aber dieses Mal – er ist einfach zu stark. Wir kommen nicht gegen diesen Dämon an.“
Dämon. Von wegen. Das Vieh war ein ganz normaler Wilder. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn das Monster es nur mithilfe seiner Gabe schaffte, das Dorf in Angst und Schrecken zu versetzen, dann wollte Darrek verdammt sein, wenn er es nicht schaffte, ihnen zu helfen.
„Warum seid ihr nicht zu mir gekommen, als klar wurde, dass ihr es nicht alleine schafft? Ich habe zwar gesagt, dass ihr mich nur im Notfall kontaktieren sollt,
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