Die Entstehung des Doktor Faustus
vertrieben, Laval flüchtig, {476} Pétain von den Deutschen entführt – erachtete ich den Roman für »zur Hälfte geschrieben« und überredete mich zu einer Unterbrechung, – nicht zuletzt wohl, weil für den Herbst mit der Agentur Colston Leigh eine Vortragstournee verabredet worden war, die literarisch vorzubereiten sein würde. Ich verkürzte sie übrigens auf dem Korrespondenzwege, weil ich mich scheute, allzuviel Kräfte an weite Wanderungen zu setzen. Während zunächst einmal kleinere Zwischenarbeiten, ein Vorwort zur Stockholmer Ausgabe von Bruno Franks
Cervantes,
ein Artikel über Grimmelshausen für einen anderen schwedischen Verlag mich beschäftigten, lauschte ich Vorlesungen, die Leonhard Frank uns bei abendlichen Besuchen aus einer entstehenden Erzählung, seiner
Deutschen Novelle
, gewährte. Er war in der sonderbaren Lage, seinen Roman
Mathilde
nicht abschließen zu können, weil er den Verlauf der Ereignisse, das Ende des Krieges dazu abwarten mußte, und vertrieb sich mit der Formung dieses kleineren Werkes die Zeit auf sehr bedeutende Art. Kein Zweifel, daß es vom Geist des
Faustus
allerlei aufgenommen hatte, – Stimmungen und Ideen, die ihm übrigens ebensowohl angehörten wie mir. Mich schreckte der Titel. Das Wort »deutsch« war im Spiel, gewiß. Aber während ich es im Erläuterungstitel, als sachlich präzisierendes Attribut zum »Tonsetzer« untergebracht hatte, trumpfte er im Haupttitel damit auf, ja, machte es zum Titel selbst. Bedenken des Geschmacks und der Diskretion wies er ab, wie gern er sich sonst auch in Einzelheiten beraten und korrigieren ließ. Seinem leisen, ein wenig stockenden Vorlesen hörte ich mit wahrer Hochachtung zu. Das dichterisch überaus getroffene Milieu der altdeutschen Kleinstadt (Rothenburg ob der Tauber); alles Handwerkliche, worin der ehemalige Mechaniker und Schlosser-Geselle so exakt Bescheid wußte, und dem er wiederum einen spezifisch »deutschen« Nimbus zu geben ver {477} stand; das leidend Psychologische auf dem Grund der Geschichte, nämlich das Auseinanderfallen von Sexus und Eros, und die geheime Dämonie des Ganzen, – dies alles zog mich außerordentlich an, und ich bin ein Bewunderer der viel zu wenig beachteten Geschichte geblieben, die ein kleines Meisterwerk ist.
Musik immer wieder – Leben und Gesellschaft brachten sie mir mit einer Art von mysteriöser Dienstfertigkeit immerfort entgegen, weit häufiger als heute, wo, nach getanem Werk, das Musikalische wieder mehr an die Peripherie meines Interesses gerückt ist. Bei Dr. Albersheim, den wir durch Neumanns kennengelernt, einem konservativ gestimmten Musiker und Musik-Gelehrten übrigens, weit entfernt von den meiner Aufgabe gelegeneren Gesinnungen Adornos, gab es genußreiche Abende, bei denen aufstrebende Instrumentalisten und Sänger, »stars in the making«, sich verschiedentlich hören ließen. Temianka wohnte weit weg, noch hinter der »Bowl« gegen Down-town; mich schreckte kein Weg, und mochte die Jahreszeit schon Nebel-Gefahr für die Rückfahrt mit sich bringen. Es gab die Violin-Sonate von Händel mit dem allerschönsten Larghetto zu hören; die Partita in acht Sätzen von Bach; ein Quartett mit Oboe, für die die Violine eintrat, von einem anwesenden ungarischen Komponisten. Wir speisten mit Charles Laughton, dem unheimlich amüsanten und hintergründigen Schauspieler, der nachher in seinem europäischen Englisch bewundernswert aus dem
Tempest
vortrug. Nicht Paris noch das München von 1900 hätte einen Abend von intimerer Kunststimmung, Verve und Heiterkeit zu bieten gehabt.
Adorno gab mir damals seine sehr kluge Abhandlung über Wagner zu lesen, deren kritischer Gebrochenheit und nie ganz ins Negative abgleitender Aufsässigkeit es nicht an Verwandtschaft mit meinem eigenen Versuch
Leiden und Größe Richard {478} Wagners
fehlt. Es war wohl diese Lektüre, die mich eines Abends bestimmte, mir Aufnahmen von
Elsas Traum,
mit dem magischen Einsatz der p.p.-Trompete bei den Worten »In lichter Waffen Scheine – ein Ritter nahte da«, und die Schlußszene von
Rheingold
mit ihren gehäuften Schönheiten und Sinnigkeiten wieder vorzuführen: dem ersten Auftauchen der Schwert-Idee, der wundervollen Manipulation des
Walhall
-Motivs, Loges genial charakterisierenden Zwischenreden, diesem »Glänzt nicht mehr euch Mädchen das Gold« und vor allem dem unbeschreiblich sentimental zu Herzen gehenden »Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe« des Rheintöchter-Terzetts.
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