Die Entstehung des Doktor Faustus
Gesundheit, zu schicken. »Schwerwiegender Entschluß, mit dem ich seit langem umgegangen, und der mir zwar Erleichterung gewährt, dessen ich mich aber auch wie eines Hinter-die-Schule-Laufens schäme. Und doch, wäre nicht vielmehr das Im-Stich-lassen des Romans dergleichen gewesen? Gerade die Beunruhigung durch dies Werk,
das so oder so zu Ende geführt werden muß
, ist ein Grund mehr dafür, es nicht durch die lange Arbeit am Vortrag und die Reise hinauszuschieben. Während ich schreibe, gibt K. die Telegramme auf. Empirin gegen die Schmerzen …«
So oder so. Es heißt nun wieder: »Beschäftigung mit dem
Faustus
. Vorbereitende Arbeit, Sprachliches und Gegenständliches für das Nächste … Abends wieder lange in Nietzsches Briefen. Ergriffen von dem Verhältnis zu Rohde, das unaufhaltsam doch auch immer mehr zum Unverhältnis wird. Einseitigkeit und Hoffnungslosigkeit seiner Beziehung zu Burckhardt. Der Lichtblick Brandes. N.’s etwas pennälerhafte Begeisterung über die Belehrung, daß ›Goethe‹ der Ausgießende, Zeugende, der Hengst, der Mann bedeutet!…« Ich schrieb das schon in Palestrina spielende Durchgangskapitel XXIV in vierzehn Tagen und las zwischendurch eines Abends dem Ehepaar Adorno und Freunden, die sie mitgebracht, den Briefwechsel Adrian-Kretzschmar vor. Den Hegelianer Adorno sprach das »Dialektische« in diesem Austausch an. Noch mehr aber lobte er die eingewobene Musikbeschreibung, deren Modell (das Vorspiel zum dritten Akt der
Meistersinger)
er aber merkwürdigerweise nicht erkannte. Er täuschte sich über die Dimensio {484} nen und glaubte an ein viel längeres Stück eigener Erfindung, – was ich nicht als Schaden empfand. Die Hauptsache war mir, daß ich ihn wieder einmal mit der musikalischen Sphäre des Buches in Kontakt gebracht und ihn dafür erwärmt hatte. Mit Schönberg, so hoch er ihn stellte, hielt er persönlich nicht Umgang, – was sich wahrscheinlich daraus erklärte, daß der Meister den kritischen Einschlag in der Verehrung des Jüngers witterte. Dagegen traf man im Hause Schönberg Hans Eisler, an dessen sprühendem Gespräch ich immer das heiterste Gefallen fand. Besonders wenn es um Wagner ging und die komische Ambivalenz seines Verhältnisses zu dem großen Demagogen, wenn er ihm »auf die Sprünge kam«, den Finger in der Luft schüttelte und rief: »Du alter Gauner!« konnte ich mich ausschütten vor Lachen. Ich erinnere mich, wie er und Schönberg eines Abends, übrigens auf mein Betreiben, am Klavier die Parsifal-Harmonik nach unaufgelösten Dissonanzen durchsuchten. Es gab genau genommen nur eine: in der Amfortas-Partie des letzten Aktes. Eine Erörterung archaischer Formen der Variation, nach denen ich mich aus guten Gründen erkundigt hatte, folgte nach, und Schönberg schenkte mir ein aus Noten und Ziffern bestehendes Bleistift-Autogramm, das dergleichen veranschaulichte.
Kierkegaards
Entweder – Oder
war damals zu mir gelangt, und ich las es mit tiefer Aufmerksamkeit. »Seine tolle Liebe zu Mozarts
Don Juan
. Die Sinnlichkeit, vom Christentum entdeckt zugleich mit dem Geist. Die Musik als dämonische Sphäre, ›sinnliche Genialität‹ … Die Verwandtschaft des Romans mit der Ideenwelt Kierkegaards, ohne jede Kenntnis davon, ist äußerst merkwürdig. Das Gespräch auf dem ›Zionsberg‹ über die christliche Ehe etwa – und manches andere – sollte die Kenntnis K.’s vermuten lassen«. – Gegen Mitte Dezember begann ich »was immer nun daraus werden möge«, das XXV., das Teufels {485} kapitel zu schreiben, an dessen Beginn Leverkühn im welschen Saal das Buch des »Christen« ja in Händen hält. »Geschrieben am Teufelsgespräch« bleibt nun mehr als zwei Monate lang, über Weihnachten und ein gutes Stück ins neue Jahr hinein, der stehende Tätigkeitsbericht – unter Wechselfällen des Lebens, der Kriegsereignisse, der Gesundheit und auch der unvermeidlichen Arbeitsdiversionen, von denen ich nur nenne: die noch allmonatlich fälligen Radiosendungen nach Deutschland, zu deren Befestigung auf Platten ich immer zur National Broadcasting Company in Hollywood fuhr, und jenen in Erschütterung geschriebenen, schon durch seinen Titel
The End
mit dem innersten Thema des Romans nahe zusammenhängenden Artikel über die Agonie Deutschlands, den ich für »Free World« verfaßte, und der durch »Readers Digest« und durch mehrere große Radio-Stationen weit im Lande herumkam.
Adrians Dialog mit dem längst erwarteten, unter der Hand
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