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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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»Die Dreiklangwelt des
Ringes
«, gesteht das Tagebuch, »ist im Grunde meine musikalische Heimat.« Allerdings ist hinzugefügt: »Und doch werde ich am Klavier des
Tristan
-Akkordes nicht satt.« –
    Übrigens war die Musik jetzt nicht handlungsaktuell beim Fortschreiben in dem Roman, den ich sehr bald wieder aufgenommen hatte. Mit Kapitel XXIII drang ich ein in die gesellschaftliche Nebenhandlung, in Münchener Erinnerungen, und hatte Adrians Bekanntschaft mit Pfeiffering und Haus Schweigestill in die Wege zu leiten. Es geschah wohl nicht ganz ohne Zusammenhang mit diesem Betreiben, daß ich Stendhals Briefe zum Lesen herausgriff. Geist, Männlichkeit, Mut und Sensibilität des Verfassers von
Le Rouge et le Noir
, eines Romans, der den Eindruck erweckt, als hätte es nie zuvor einen Roman gegeben, imponierten mir nicht wenig. Sehr merkwürdig war mir sein Erlebnis mit jenem jungen russischen Offizier, den er »nicht anzusehen wagt«. Leidenschaft würde ihn ergreifen, »wenn« (was wiederholt wird) er, Stendhal, »eine Frau wäre«. Die Geburtswehen einer Leidenschaft aber sind es, die er an sich beobachtet. Es ist ein seltener Einbruch des Homoerotischen in eine höchst männliche, aber auch sehr geöffnete und {479} psychologisch neugierige Natur. Sicher nahm ich Notiz von dem Vorkommnis im Hinblick auf Adrians früh angelegtes Verhältnis zu Rudi Schwerdtfeger, dieser Verführung der Einsamkeit durch eine nicht abzuschreckende Zutraulichkeit, bei der das Homosexuelle eine koboldhafte Rolle spielt.
    Aldous Huxleys
Time Must Have a Stop
machte mir außerordentliches Vergnügen – eine kecke Spitzenleistung des heutigen Romans ohne Zweifel. Ich las Nietzsches
Ecce Homo
wieder, Bekkers
Beethoven
, Deussens
Erinnerungen an Nietzsche.
Briefe der Kinder drüben bewegten uns – mit Sorge und auch mit Stolz, durch sie an dem Kriege teilzuhaben, der uns ein Kampf gegen den Feind der Menschheit blieb. Klaus, dem in einem italienischen Städtchen ein Freund durch eine Granate fast buchstäblich von der Seite gerissen worden, lag malariakrank bei der 8. britischen Armee. Golo, in London von Morgen bis Mitternacht für die American Broadcasting Station in Europe tätig, verharmloste bestens, ad usum parentum, die Wirkung der immer noch fliegenden Robots. Erika war in Paris, mit offenen Augen für die unverbesserte Verfassung der französischen Bourgeoisie und Oberklasse – und ihre Bestärkung darin durch die Haltung der Befreier.
    Aber das Schicksal des Dritten Reiches erfüllte sich schnell. Schon ging es nicht mehr um die »Festung Europa«, sondern um die »Festung Deutschland«. Deutsche Namen begannen in den beiderseitigen Bulletins aufzutauchen. Im Osten und Westen standen die Alliierten auf deutschem Boden. Was der Nazistaat noch an Leben besaß, benutzte er zu eklem Morden. General Rommel, in die Rettungskonspiration der Offiziere verwickelt, deren langsame Strangulation für den Führer gefilmt worden war, hatte die Wahl zwischen Selbstmord mit Staatsbegräbnis und schändendem Hochverratsprozeß nebst Tod am Galgen. Er nahm das Gift und blieb »der bedeutendste {480} Heerführer dieses Krieges«. Montgomery hatte immer sein Bild mit sich geführt und gehofft, ihn eines Tages von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Es ist wenig Zweifel, daß er im sportlich gesinnten England gefeiert worden wäre als der zähe, kühne und gewandte Gegner, der er gewesen war. Hatte er denn keine Möglichkeit gehabt, über den Kanal zu entkommen? Es war ein so ärgerlicher Jammer um jeden, der noch für Hitler starb! … Als Aachen in Schutt und Asche lag, fing es an mit den Selbstbeseitigungen unter Nazigrößen.
    Bei uns galt es, Roosevelts »fourth term« gegen die republikanische Kandidatur zu sichern, und ich war froh, daß die lokale Partei-Organisation mich zu einer Kundgebung aufrief für den bewunderten Mann. Neben Notizen wie »Lange und eifrig am Kapitel« findet sich Ende Oktober auch die andere:
Rede für Roosevelt.
Das »gathering« fand am 29. des Monats nachmittags in einem Privatgarten der »Bel Air«-Villenkolonie statt. Es war von nur etwa zweihundert Personen besucht, die, trotz allmählich einfallender nebliger Abendkühle, auf ihren über den Rasen hin aufgeschlagenen Sesseln stundenlang aushielten, denn man hatte »a good time«. Bei solchen Gelegenheiten ist es landesüblich, daß die politischen Anfeuerungen und das »money-raising«, für das gewisse Redner eine unglaubliche Technik ausgebildet haben,

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