Die Entstehung des Doktor Faustus
durchsetzt sind von allerlei Variété-Vergnüglichkeiten, die nicht das geringste mit der Sache zu tun haben, aber auf ihre Art dennoch zur Werbekraft der Veranstaltung beitragen. Hier gab es unter anderem einen angeblich »spanischen« und äußerst geschickten Zauberkünstler, der seine Wunder von einem großen chinesischen Magier namens Rosenthal gelernt zu haben behauptete, und eine blutjunge Bauchrednerin, ersten Ranges in ihrer Kunst, die sich mit der starräugigen Puppe auf ihrem Schoß so drollig unterhielt, daß ich noch lachte, als ich zu meiner unter diesen Umständen {481} offenbar viel zu ernsten Rede aufs Podium stieg. Sie war aber
nicht
zu ernst, sondern ganz das Rechte – nun wieder in ihrer Art. Neue Komik folgte darauf, und schließlich hatte jedermann sich so glänzend unterhalten, daß keinem die Wiederwahl F. D. R.’s zweifelhaft war.
Wie sonderbar berührt es mich, die kurze Aufzeichnung des nächstfolgenden Tages zu lesen! Sie betrifft eine wiederholte Beschäftigung mit
Love’s Labour Lost
und hält eine ominöse Sentenz des Stückes fest, die Verse:
»There form confounded makes most form in mirth;
When great things labouring perish in their birth.«
Ich fügte hinzu: »Der erste Vers mag auf
Joseph,
der zweite auf
Faustus
zutreffen.« Zitat und Kommentar würden mir zeigen, wenn ich es vergessen hätte, mit welchen Skrupeln und Zweifeln des Romans wegen ich zu kämpfen hatte, wie sehr ich geneigt war, an sein Verderben zu glauben. Diese Sorgen verstärkten sich quälend in dem Maß, wie es mit meiner Gesundheit abwärts ging. Schon zwei Tage später stand ich während einer Abendgesellschaft (bei Eddy Knopf, mit Ernst Lubitsch, dem Grafen Ostheim, seiner amerikanischen Gattin und Salka Viertel) unter heftigem Kopfschmerz-Druck, und am folgenden lag ich mit einer Grippe, die sich auf Magen und Darm warf und mich im Lauf einer Woche vierzehn Pfund meines Körpergewichts kostete, ein Verlust, von dem ich in vielen kommenden Monaten nichts wieder einzuholen vermochte.
IX
Rechtzeitig zum Wahltage, dem 7. November, war ich außer Bett. Aber die Infektion, wie gewöhnlich bei mir, war schwer zu vertreiben, schwelte fort im Organismus und produzierte üble Nachspiele: eine lästige Halsentzündung zunächst, dann hef {482} tige, vom »Drillingsnerven« ausgehende Gesichts- und Schein-Zahnschmerzen, die mir böse Tage und bösere Nächte bereiteten. Die Mischung Empirin-Kodëin schlug wenig an; ich verlegte mich auf kleine, in den Mund zu nehmende Heizkissen von Leinsamen und wandte sie in meiner Wut auf die Neuralgie so rücksichtslos an, daß ich mir arge Verbrennungen der Mund-Schleimhaut zuzog.
Bei alldem schien eine Arbeitsumstellung geboten, die Herstellung eines Reise-Vortrags an der Zeit, und die versuchende Umschau nach einem den Zeitumständen angemessenen und mir selbst gelegenen Gegenstande begann. Er sollte sich möglichst wenig von der Hauptsache, dem Laufenden entfernen, sich tunlichst daran lehnen und davon abgezogen sein. Etwas über Deutschland, über Charakter und Schicksal dieses Volkes also; und unter allerlei Lektüre über deutsche Geschichte, Reformation und Dreißigjährigen Krieg, auch von Croces
Geschichte Europas
, begann ich mit Notizen und Vormerkungen zu diesem Thema, ohne rechten Willen und Entschluß übrigens, damit fortzufahren. Ist immer ein solcher Wechsel der Gedankenrichtung, der Zwang, mich in etwas Neues hineinzufinden, eine irritierende, halb krank machende nervöse Belastung, so war es das dreifach unter den Umständen von damals; aber die innere Widerspenstigkeit konnte sich auf das Verlangen, zur Hauptaufgabe zurückzukehren, kaum berufen. »Andauerndes Stimmungstief, verstärkt durch das Grauen vor der Verfehltheit des Romans, den ich mit so erregenden Neuigkeitsgefühlen begann. Schwere, tatenlose Tage.« Dann: »Abendessen bei Werfels mit Franks, die eben von ihrem New Yorker Ausflug zurück. Frank eher geschädigt als erholt. Ich las das XXIII. (Münchener Kapitel) mit großer Anstrengung. Die Teilnahme war überraschend. Kluge, bewegende Äußerungen Werfels über die Thematik und neuartige Komposition des mir so ge {483} fährdet scheinenden Buches.« – Dies war wohl entscheidend. Ich wendete die Arbeitsstunden des nächsten Tages noch an die Skizzierung des Vortrags, entschied mich aber am übernächsten, ihn und die Reise unbestimmt zu vertagen und dem Agenten wie auch MacLeish Absage-Telegramme, begründet mit mangelhafter
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