Die Entstehung des Doktor Faustus
Sein Stil, wenigstens auf deutsch, ist nicht gut. Aber wie neu und tief, diese Bestimmung des Humors! Welche großartige Klugheit der Beobachtung! – Der Musik, beim abendlichen Radiohören und Plattenspiel, galt sachlichste Aufmerksamkeit. Es fügte sich, daß wir wiederholt Kammermusik bei uns im Hause hatten. Der holländische Cellist Vandenburg, die Geiger Temianka und Pollack kamen und spielten mit einem oder dem anderen Freunde zuweilen vor einem Kreis von Gästen Quartette von Haydn, Mozart, Beethoven (132!), Mendelssohn, Brahms und Dvořak. Michael, unser Jüngster, zu Besuch wieder einmal mit den Seinen bei uns, beteiligte sich als Bratschist daran. Frido erschien diesmal zuerst mit kurzem Haar. »Für den Kleinen gezeichnet«, heißt es öfters. »Frido, nervös verstimmt, viel bei mir.«
Die Russen standen vor Warschau, bedrohten Memel. In Paris wütete die Besatzungsmacht mit Hilfe der Collaborateurs gegen die immer stärker ihr Haupt erhebende Résistance. Entsetzliche Nachrichten über das Anwachsen der Juden-Massaker in Europa drangen durch; Meldungen sodann über das Generalsattentat auf Hitler, den Fehlschlag der Aufstandsbewegung, die Massentötung von Armee-Offizieren, die vollstän {472} dige Nazifizierung des Heeres und eine Art von Mobilisierung des Volkes, Goebbels’ »totalen Krieg«. – Ein langer Brief an den Präsidenten Beneš ging damals ab, worin ich für meinen Verzicht auf die tschechische Staatsbürgerschaft, die Annahme der amerikanischen, um Verständnis bat. Ich erhielt liebenswürdigste Antwort. Im Roman war das Portrait Rüdiger Schildknapps an der Tagesordnung, ein künstlerisch gelungenes Stück, dessen menschliche Gewagtheit – denn um ein Portrait handelte es sich allerdings, und zwar um ein stilisiertes, dessen Lebendigkeit von der des Modells recht verschieden ist – damals überhaupt mein Bewußtsein nicht berührte. Dazu war Europa, war Deutschland und was dort lebte – oder nicht mehr lebte – zu tief und weit abgetrennt, versunken, zu sehr Vergangenheit und Traum geworden, – versunken, verloren und vergangen, nach eigenem Willen, auch die Freundesgestalt, die ich da in genau scheinenden, aber vieles ausschließenden Strichen auferstehen ließ. Dazu noch stand ich zu sehr unter der Faszination eines Werkes, das, Bekenntnis und Lebensopfer durch und durch, keine Rücksichten kennt und, indem es als gebundenste Kunst sich darstellt, zugleich aus der Kunst tritt und Wirklichkeit ist. Und doch ist diese Wirklichkeit wiederum auf die Komposition bezogen, in gewissen Fällen mehr dieser als der Wahrheit verantwortlich, übertragen und scheinhaft. In einer sehr hochstehenden deutschen Besprechung des Buches (von Paul Rilla, in »Dramaturgische Blätter«) sollte es später heißen: »Es kann einem gehen, wie es dem Verfasser dieser Notizen ging, der heiter überrascht das Portrait eines Freundes, eines liebenswürdigen Schriftstellers und Übersetzers, in dem Buch entdeckte, untrüglich in jedem Zug, schlagend in jeder Gebärde …« Nun, der »Betroffene« wird anders gedacht haben, hat anders gedacht über die »Untrüglichkeit« des Bildes. Daß er ein äußerstes Minimum der Empfindlichkeit {473} an den Tag gelegt hat, deren ich mich von ihm zu versehen hatte, sei ihm hier mit Bewunderung bescheinigt.
Nach einer abendlichen Vorlesung fragte mich Leonhard Frank, ob mir bei Adrian selbst irgendein Modell vorgeschwebt habe. Ich verneinte und fügte hinzu, daß die Schwierigkeit gerade darin bestehe, eine Musiker-Existenz frei zu erfinden, die ihren glaubhaften Platz zwischen den realen Besetzungen des modernen Musiklebens habe. Leverkühn sei sozusagen eine Idealgestalt, ein »Held unserer Zeit«, ein Mensch, der das Leid der Epoche trägt. Ich ging aber weiter und gestand ihm, daß ich nie eine Imagination, weder Thomas Buddenbrook, noch Hans Castorp, noch Aschenbach, noch Joseph, noch den Goethe von
Lotte in Weimar –
ausgenommen vielleicht Hanno Buddenbrook – geliebt hätte wie ihn. Ich sprach die Wahrheit. Buchstäblich teilte ich die Empfindungen des guten Serenus für ihn, war sorgenvoll in ihn verliebt von seinen hochmütigen Schülertagen an, vernarrt in seine »Kälte«, seine Lebensferne, seinen Mangel an »Seele«, dieser Vermittlungs- und Versöhnungsinstanz zwischen Geist und Trieb, in sein »Unmenschentum« und »verzweifelt Herz«, seine Überzeugung, verdammt zu sein. Dabei, merkwürdigerweise, gab ich ihm kaum ein Aussehen, eine
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