Die Entstehung des Doktor Faustus
Mitte Januar fast alles von dem zentralen Gespräch Geschriebene, wohl dreißig Seiten, in einem Zuge zu hören. Erika war zugegen und wußte sogleich erleichternde Kürzungen vorzuschlagen. »Die Länge«, heißt es im Heft, »ist die ästhetische Gefahr des lebhaft einsetzenden Kapitels – wie des ganzen Buches. Wenn das Erregende bei diesen Dimensionen {488} sich hält, so muß es starker Natur sein.« Anfang Februar war das Ende des Monstre-Gespräches abzusehen. Im Ohr die hysterischen Deklamationen der deutschen Ansager über den »heiligen Freiheitskampf gegen die seelenlose Masse«, schrieb ich die Seiten über die Hölle, die wohl die eindringlichste Episode des Kapitels sind, – nicht denkbar übrigens ohne die innere Erfahrung des Gestapokellers, – und die ich zur Vorlesung immer heranzog, wenn ich zum Zweck ermutigenden Selbstbetruges das Sicherste des Buches, die Rosinen, also das präsentierte, was den Zuhörern meine Sorgen um das Ganze möglichst unverständlich machte.
Es war, wie notiert, am 20. Februar, daß ich, erleichtert auf jeden Fall, mit dem Gespräch zu Ende kam. Es umfaßte zweiundfünfzig Manuskript-Blätter. Erst jetzt war wirklich die Hälfte des Buches, auf die Seitenzahl genau, geschrieben, der rechte Augenblick für eine Unterbrechung gekommen, und gleich am folgenden Tage begann ich mit der Ausarbeitung des ungefähr schon vorbereiteten Vortrags für Washington:
Germany and the Germans,
die die nächsten vier Wochen in Anspruch nahm. Um diese Zeit waren Verrottung und Auflösung des »Dritten Reiches« weit vorgeschritten. Memel war genommen, Posen und Breslau eingeschlossen. Flüchtlinge drangen nach Berlin und wurden weitergetrieben. Von keiner Zensur offenbar mehr behindert, hatte die »Kölnische Zeitung« offen geschrieben, daß Panik das Reich von einem Ende zum andern ergriffen habe. Die Kräfte des Volks, des Heeres und des Führers hätten sich in dem fünfjährigen Kriege erschöpft. Die Russen, 30 Meilen von Berlin, wo sie Infanterie und schweres Geschütz massierten, hatten eine neue Aufforderung zur Beseitigung des Régimes und zur Übergabe ergehen lassen, da sonst die nationale Katastrophe unvermeidlich sei. Aber wer sollte beseitigen, wer übergeben? Die Nazis hatten vorgesorgt, daß {489} der Reichskörper nicht lebend gerettet werden, sondern nur stückweise abfallen konnte. Sie gedachten, hieß es nach Anfang Februar, nach dem Fall von Berlin eine Widerstandslinie Österreich-Bayerische Alpen mit Berchtesgaden als Hauptkastell zu beziehen, kurz, in die Böhmischen Wälder zu gehen. Die Gerüchte darüber erstarben bald.
Das Manifest der »Big Three« aus Yalta gewährte keine Abschwächung des »Unconditional Surrender«, enthielt aber die Versicherung, man sei fern von der Absicht, das deutsche Volk zu vernichten. Der Rückzug der Hitlertruppen auf die Ostseite des Rheins unter Zerstörung der Brücken bis auf die eine, die mysteriöser Weise erhalten blieb, war vollendet. Der amerikanische Übergang über den Strom hatte als Schwierigkeit gegolten, – Anfang März war er plötzlich geschehen, der Nachschub gesichert, Bonn genommen. Ich las viel Heine nach um diese Zeit, die Feuilletons über deutsche Philosophie und Literatur, auch über die Faust-Sage. Bei Abfassung des Vortrags blieb ich der Haupt-Aufgabe innerlich nahe und las gelegentlich aus dem kürzlich Geschriebenen vor. Gesellige Begegnungen, wie die mit Schnabel, Schönberg, Klemperer im Hause des jungen Reinhardt, wo sich nach Tische eine lange Diskussion über Musik entspann, dienten gleichfalls der Wahrung des »Kontakts«. Während ich am Vortrag arbeitend die Passage über die deutsche Romantik schrieb, las ich Hebbels Tagebücher und fand darin den großen Satz (in Paris aufgezeichnet): »Die bisherige Geschichte hat nur die Idee des ewigen Rechts selbst erobert, die kommende wird sie anzuwenden haben.« – Ein ungewöhnlich schöner Brief erreichte mich damals; ein amerikanischer Soldat schrieb ihn mir von den Philippinen. »I envy you your swift, sure maturity, your heritage of culture, your relentless self-discipline. Such things are hard-won in European civilization. Here in America they are almost non {490} existent.« Nicht sowohl meinetwegen, als um des unglücklichen und erniedrigten Europa willen tat es mir wohl. Ein Anhänger des »American Century« schien dieser junge Yankee nicht zu sein. Eine andere amerikanische Äußerung noch rührte mich: die unseres alten Freundes
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