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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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und Nachbarn, des emeritierten Philosophieprofessors Dean Henry Rieber, der, betroffen von der Melancholie meines in »Free World« erschienenen Artikels
The End
, mit einem Händedruck zu mir sagte: »Don’t take the world too hard! Each evening we pray for you.« Wie anders war das Verhalten des Emigrationspatriotismus zu meiner Art, den Zusammenbruch Deutschlands zu erleben und zu erörtern! Kaum hatte ich
Deutschland und die Deutschen
zu Ende geschrieben, eine Interpretation der deutschen Tragik, die mir bei ihrem Erscheinen in der alten Heimat selbst viele entfremdete Herzen zurückgewinnen sollte, als mit dem Artikel eines Professors von Hentig in der New Yorker sozialdemokratischen »Volkszeitung« die rüden Angriffe auf mein Gefühl, meine Haltung begannen, die dann, geführt von noch plumperen Federn, sekundiert und geschürt leider von Alfred Döblin, in den folgenden Monaten von Zeit zu Zeit wieder auflebten und mich weit mehr verletzten und deprimierten, als ich es hätte zulassen sollen.
    Vorbereitungen zur Fortsetzung des
Faustus
wurden in den zwanziger Tagen des März wiederaufgenommen, eine Zeittafel und Überschau der Ereignisse und geistigen Vorgänge von 1913 bis zum Ende bereitgestellt, Tagebuch-Aufzeichnungen vom Ausgang des ersten Weltkrieges revidiert. Ich korrigierte Maschinen-Abschriften und war »nicht glücklich«. Die seit dem Rheinübergang und der Forcierung der Oder sich überstürzenden Ereignisse in Deutschland wirkten schwer zerstreuend, ohne zu erheben. »Sieghafte Hoffnungslosigkeit« ist ein Ausdruck des Tagebuches, den ich als Unglauben in die {491} Fähigkeit der Sieger deute, nach dem Kriege den Frieden zu gewinnen. Ein Gespräch mit zwei Schweizern, die mich besuchten, einem Konsul und einem Journalisten, drehte sich um nichts als den amerikanisch-russischen Gegensatz und um den bevorstehenden Wiederaufbau Deutschlands. »Der Sieg wird ärger verspielt werden als das vorige Mal.« Unter Freunden war geradezu von dem »heute schon so gut wie gewissen Vernichtungskrieg der Zukunft« die Rede.
    »Beschäftigung mit dem Roman. Versuche, den Anschluß zu finden und die Lust zu beleben. Aber Mißfallen und Überdruß hemmen mich. Das Mißraten des Werkes kann wohl keinem Zweifel mehr unterliegen. Dennoch werde ich es zu Ende führen.« Ich hatte das XXVI. Kapitel und damit die Partie des Buches zu schreiben begonnen, die zu dem Ausbruch des Krieges von 1914 hinführt, als ich eines Nachmittags – es war der 12. April – in der Einfahrt zum Hause die Abendzeitung vom Boden aufnahm, die der Austräger dort niederzulegen pflegte. Ich warf einen Blick auf die balkendicke »headline«, zögerte und reichte dann das Blatt stumm meiner Frau. Roosevelt war tot. Wir standen verstört, in dem Gefühl, daß rings um uns her eine Welt den Atem anhielt. Das Telephon rief. Die improvisierte Radio-Äußerung, die man verlangte, lehnte ich ab. Wir redigierten ein Telegramm an die Witwe des Dahingegangenen und hörten den ganzen Abend dem Lautsprecher zu, ergriffen von den Huldigungen und Trauerkundgebungen aus aller Welt. Man mochte in den nächsten Tagen nichts anderes hören und lesen, als über ihn, die Einzelheiten seines Sterbens, die Bestattungsfeierlichkeiten in Hyde Park. Die Erschütterung, das Bewußtsein schicksalvollen Verlustes war erdumspannend. Wir alle hatten die Worte der verehrungswürdigen Eleonor Roosevelt im Ohr: »Ich bin trauriger für unser Volk und für die Menschheit, als für uns selbst.« Und doch war {492} gewiß, daß sich im Lande so manches Genugtuungs- und Erleichterungsgefühl in die Trauer mischte, sich kaum hinter ihren offiziellen Kundgebungen verbarg. Das Uff! das nie zu überhören ist beim Tode eines Großen, der seine Nation über ihr Alltagsniveau hinausgehoben, was für eine Nation ziemlich anstrengend ist, es war auch jetzt nur zu wohl zu unterscheiden. Man wußte von Leuten, die bei der Nachricht von diesem Tode Champagnerpfropfen hatten springen lassen … Der Versicherungen, daß alles beim alten bleiben solle, gab es viele. Der Termin der Eröffnung der Alliierten-Konferenz von San Francisco, zu der der Verstorbene hatte reisen wollen, blieb unberührt. Der Krieg ging weiter. Die Kongreßrede des Nachfolgers hielt fest am »Unconditional Surrender« und an der Errichtung eines dauerhaften Friedens nachher. Keine Veränderungen in militärischer Sphäre waren in Aussicht genommen. Desto mehr, wahrscheinlich, würde es in der zivilen geben.

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