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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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längst eingeführten Besucher stand noch in den ersten Stadien, als ein Anruf meines Bruders Heinrich uns den Tod seiner langjährigen Lebensgefährtin meldete. Der wiederholte Versuch der unglücklichen Frau, sich mit einer Überdosis von Schlaftabletten des Lebens zu entledigen, war diesmal gelungen. Wir begruben sie am 20. Dezember auf dem Friedhof von Santa Monica, und eine zahlreiche Trauergesellschaft bot dem Vereinsamten ihre ehrerbietige Sympathie. Er verbrachte den Rest des Tages bei uns, und es versteht sich, daß der Verkehr mit ihm nach der Einbuße, die er erlitten, nur inniger wurde. Holten wir ihn mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu uns, so verbrachten wir manchen Abend auch in seiner im ferneren Beverly Hills gelegenen Wohnung, der er treu geblieben war, und er las uns bei solchen Gelegenheiten wohl aus dem genialisch-phantastischen, überall und nirgends spielenden Roman
Empfang bei der Welt
, der damals unter den Händen des uner {486} müdlichen Arbeiters entstand, eine geisterhafte Maskerade, ein unlokalisiertes soziales Generationenspiel von größter Originalität. Nicht lange mehr, so sollten in der Moskauer »Internationalen Literatur« große Teile aus seinem Memoirenwerk
Eine Epoche wird besichtigt
erscheinen. Ich habe meiner Bewunderung für dies einzigartige Buch, seine stolze Bescheidenheit, seinem aus Simplizität und federndem Intellektualismus gemischten Zukunftsstil und auch für seinen hoch-naiven Eigensinn Ausdruck zu geben versucht in dem Aufsatz
Bericht über meinen Bruder
, den ich zum 75. Geburtstag des großen Schriftstellers für ein deutsches Blatt in Mexiko schrieb. –
    Lebensdinge … Zehn Tage nach der Bestattung gab es eine Taufe: Das zweite Söhnchen, Tonio, unseres jüngsten Sohnes, das zweite Töchterchen, Dominica, Elisabeth Borgeses, unserer jüngsten Tochter, wurden in der Unitarian Church mit einem Minimum an religiöser Prätension, in den verständig-menschlichsten Formen zu Christen geweiht. Es war die angenehmste kirchliche Erfahrung, die ich gemacht habe. Im Familienkreis, mit Borgese, auch mit Freunden wie Neumanns war von der Kriegslage immer wieder die Rede. Im Rückblick nimmt die schwankende Beurteilung der Aussichten, die damals immer noch möglich war, sich seltsam genug aus. Trotz Hitler-Deutschlands verzweifelter Lage schien eine Perspektive nicht ausgeschlossen, wie: unbestimmtes Sichhinziehen des Krieges, der oder jener Regierungswechsel inzwischen, Todesfälle unter den Führern und Friede erst nach einer Periode des Chaos, geschlossen von anderen Menschen. Durfte man von der Stimmung zuhause auf die »Moral« der amerikanischen Truppen schließen, so stand es bedenklich um diese. Im Lande hier gab es Haß auf die Juden, die Russen, die Engländer – nur nicht gegen die Deutschen, gegen die man Krieg führen mußte. Was die innerlich gefährdete Allianz zusammenhielt, war allein die {487} diplomatische Energie Eisenhowers, dessen normannische Landung ein technisches Meisterstück ohne Vorgang gewesen war, – dieses getreuen Vollziehers eines höheren staatsmännischen Willens und Ingeniums. Der Staatsmann aber, zum vierten Male Herr des Weißen Hauses, der aristokratische Volksfreund, ebenbürtig den europäischen Diktatoren als gewiegter Massenlenker, ihr geborener Gegenspieler, der große Politiker des Guten, für den der populäre Krieg gegen Japan ein Mittel gewesen war, den 1938 durch »München« geretteten Fascismus zu schlagen, – dieser Mann war vom Tode gezeichnet.
    Das Jahr ging unter sehr gegenständlichen politischen Sorgen zu Ende. Die Rundstedt-Offensive, ein letzter keck-verzweifelter und wohl vorbereiteter Versuch der Nazimacht, das Schicksal zu wenden, war in vollem Gange und zeitigte Schreckenserfolge. Vom »Rückzug auf günstigere Stellungen« hatte man lange nur in den Berichten des Feindes gelesen. Er war jetzt unser Teil in Ost-Frankreich. Verlust aller Brückenköpfe auf einer 50–Meilen-Front, geblieben nur die Gegend um Aachen und ein Streifen Saargebiet, Straßburg, selbst Paris bedroht, Panik überall in Europa vor dem deutschen Wiederaufleben, das war das Bild, und es graute einem vor dem Schicksal der unseligen Belgier, die wieder in deutsche Hand gefallen. Nun, das Abenteuer versandete. Einige Tage nur, und wie die Blätter mochten meine täglichen Anmerkungen sich darüber ausschweigen. Ich hatte während jener beklommenen Tage am Laufenden fortgeschrieben und gab bei einer häuslichen Vorlesung nach

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