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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Komposition Keats’scher und Klopstock’scher Hymnen (im XXVII. Kapitel) fortzudichten, – nicht ohne Zutun Adornos, dessen Interesse an dem Buche wuchs, je mehr er davon erfuhr, und der anfing, seine musikalische Einbildungskraft dafür zu mobilisieren.
    {495} Die ersten direkten Nachrichten aus dem besetzten Deutschland langten nun an: Man erfuhr, wie viele Leute denn doch dort, aller Gefahr zum Trotz, dem englischen Sender und auch meinen Ansprachen begierig gelauscht hatten. Klaus befand sich als Sonderberichterstatter von »Stars and Stripes« in München. Unser Haus, wiederholt von Bomben getroffen, in den Umrissen erhalten, war im Inneren, das schon vorher manche Veränderung erfahren, gründlich zerstört. Wir wußten, daß es unter den Nazis zeitweise als Heim für uneheliche Mütter gedient hatte, und zwar unter dem Namen »Lebensborn A.G.« Jetzt hausten allerlei Flüchtlinge und Ausgebombte in den verödeten Ruinen. Kennzeichnend war und bleibt es doch, daß keiner, der sich zu Beginn des Tausendjährigen Reiches als Käufer an der Versteigerung der Einrichtung, der Bücher, der Kunstgegenstände beteiligt hatte, auf den Gedanken kam – und bis heute darauf gekommen ist – uns irgendein Stück des erstandenen Diebsgutes wieder zur Verfügung zu stellen.
    In diesen Maitagen, einer mir sonst so verwandten, so wohltätigen Jahreszeit, beginnen Vermerke im Tagebuch unterzulaufen über Besuche in Röntgen-Laboratorien, ärztliche »check-ups«, Blutuntersuchungen, Einzelprüfungen meiner Organe – mit übrigens beruhigend negativem Ergebnis. Dennoch fühlte ich mich recht elend. Turbulenz und erschütternde Phantastik der Tagesereignisse, das Hin und Her der Arbeit, der Kampf mit dem heftig zu Herzen gehenden Buch, in dem ich vorwärts drängte, – es waren der Zumutungen an meine sonst tolerante Natur doch etwas zu viele gewesen. »Jedermann sagt mir, daß ich magerer geworden bin. Arsen- und Vitamingaben ändern nichts an weiterem leichten Gewichtsverlust. Würde ich mich weniger schwach auf den Füßen fühlen! Habe im einzelnen auch in jüngster Zeit noch einige gute Dinge gemacht, fühle mich aber ›abnehmen‹.« Ich gebrauchte das {496} Wort in dem mondmythologischen Sinn, den es oft in den
Josephsgeschichten
führt. Wirklich streifte die nervöse Ermüdung zuweilen die Erschöpfung. Es kam vor, daß ich auf meinem Spaziergang gegen den Ozean hinab mich am Straßenrand niedersetzte und froh war, wenn der Wagen kam, mich heimzuholen. Dabei näherte sich der Aufbruchstermin zu der Reise nach dem Osten, auf der ich meinen 70. Geburtstag begehen sollte, und bei der es aller Voraussicht nach bunt und anforderungsvoll zugehen würde.
    Ich trat sie am 24. des Monats mit der treuen Gefährtin an, deren nie wankendem Liebesbeistand mein Leben über alle Worte zu Dank verbunden ist, – nahm es auf damit im Vertrauen auf die Kraftreserven, die denn doch bei solchen Gelegenheiten freiwerden, auf die Vorteile des Luftwechsels und einer ganz nach außen gerichteten Daseinsform, auf die Entschwerung durch das Interim sorgloser und übrigens im Zeichen großer moralischer Erfüllungen stehender Lebensfestivität.

X
    Noch war es ein Reisen von kriegsmäßiger Unbequemlichkeit, – der Zug überlang, der Weg vom »compartment« zum »diner« eine Wanderung, das Anstehen dort für eine Mahlzeit eine zuweilen stundenlange Geduldsprobe, verschärft, schon nahe am Ziel, durch die unholde Wärme des Küchendunstes. Ein älterer gentleman vor mir, mit den Händen die Messingstange des Fensters umklammernd, knickte in Ohnmacht zusammen. Den Zug bewachende Military Police-Leute nahmen sich seiner an und brachten ihn schnellstens dort unter, wohin unser aller Wünsche standen: an einem Tisch des Speisewagens. Die Versuchung war stark, es ihm gleichzutun. Würde man nur leichter ohnmächtig! Meine Schwestern, als Backfische, wurden es, ohne jede Verstellung, wenn sie keine Lust hatten, zur Kirche zu gehen.
    {497} Ich las
L’Histoire des Treize
unterwegs, mit gemischten Gefühlen wie immer bei der Berührung mit Balzac: oft hingerissen von seiner Großheit, oft irritiert durch reaktionär gestimmte Gesellschaftskritik, katholisches Augenverdrehen, romantische Sentimentalität und Blasebalg-Übertriebenheit. Wir machten einen Tag in Chicago halt zum Besuch unserer Lieben dort, und ich probierte bei ihnen den Deutschland- Vortrag aus, der sich noch als zu lang erwies. Ich überarbeitete ihn im Zuge nach Washington

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