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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
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verzehrenden Gelbs an einem Halm hinauf. Lok trat zurück und holte weitere Erdbrocken. Während er sie über die glimmende Grasnarbe streute, sprach er mit der Alten.
    »Es ist leicht, das Feuer einzusperren. Die Flammen kriechen nicht fort. Sie haben draußen nichts zu essen.« Die Alte lächelte ihm weise zu, sagte aber nichts, und er kam sich töricht vor. Er riß einen Fetzen Fleisch von einem schwabbeligen Schenkelstück und ging die Terrasse hinunter. Die Sonne lag über dem Spalt, der die Berge zerteilte, und ohne daß er sich dessen bewußt wurde, kam ihm die Erkenntnis, daß jetzt der letzte Teil des Tages nahte. Der erste Teil war so schnell verstrichen, daß er glaubte, etwas verloren zu haben. Er begann sich dunkel auszumalen, wie die Höhlennische ausgesehen hatte, als er und Fa nicht darinnen waren. Mal und die Alte hatten gewartet; sie im Gedanken an Mals Krankheit, und Mal, Has und Loks harrend, die Holz und Nahrung brachten.
    Plötzlich ward ihm etwas offenbar: Mal hatte nicht mit Bestimmtheit gewußt, daß sie Nahrung finden würden. Und Mal war klug. Obwohl Lok sich wiederum wichtig vorkam bei dem Gedanken an das Fleisch, traf ihn doch das Wissen, daß Mal seiner nicht sicher gewesen war, wie ein kalter Hauch. Dann verursachte dieses Wissen, dieses Erkennen, das dem Denken so nahekam, eine Müdigkeit in seinem Kopf, und er war wieder der zufriedene, frohe Lok, der sich von den Erfahreneren anleiten und umsorgen ließ. Er dachte an die Alte, die Oa so eng verwandt war, so viel wußte und den Zugang zu allen Geheimnissen hütete. Und da erfüllten ihn wieder einfältige Scheu und namenlose Geborgenheit.
    Fa saß am Feuer und röstete Fleischstückchen auf einem Zweigspieß. Die Stückchen zischten und tröpfelten, während der Zweig zu glimmen anfing, und sie verbrannte sich jedesmal die Finger, wenn sie ein Stückchen abnahm, um es zu essen. Die Alte goß Mal mit den Händen Wasser über das Gesicht. Liku saß an den Fels gelehnt, und die kleine Oa ruhte auf ihrer Schulter. Liku aß jetzt bedächtig, sie hatte die Beine vor sich ausgestreckt, und ihr Bäuchlein war schön rund. Die Alte kam zurück und hockte neben Fa nieder und verfolgte die Dampfsträhne, die von den Blasen in der Magenöffnung aufstieg. Sie fischte nach einem darin herumschwimmenden Leckerbissen, ließ ihn mehrmals in der Hand aufhüpfen und steckte ihn in den Mund.
    Sie schwiegen. Das Dasein war erfüllt, man brauchte sich nicht weiter um Nahrung zu sorgen, der nächste Tag war gesichert und der Tag danach so weit entfernt, daß niemand sich die Mühe machte, an ihn zu denken. Das Leben war köstlich gestillter Hunger. Bald würde Mal von dem zarten Hirn essen. Die Kraft und die Schnellfüßigkeit des Rehs würden in ihm zu wachsen anfangen. Angesichts des "Wunderbaren dieser Gabe fühlten sie keinen Drang, sich mitzuteilen. So versanken sie in friedvollem Schweigen, das zerstreuter Melancholie geglichen hätte, wäre nicht das stetige Zucken der Muskeln gewesen, das von den Kinnbacken aufwärts lief und langsam die Haarlocken an den Schläfen der gewölbten Köpfe bewegte. Likus Kopf fiel sanft herab, und die kleine Oa rutschte ihr von der Schulter. Die Blasen stiegen geschäftig aus dem Magen hoch, blähten über den Rand, und eine Dampfwolke schwebte empor und wurde von der heiß aufwallenden Luft über dem größeren Feuer daneben angesogen. Fa nahm einen Zweig, tauchte ihn in die siedende Brühe, kostete und wandte sich an die Alte. »Bald.«
    Auch die Alte kostete.
    »Mal muß von dem heißen Wasser trinken. In dem Wasser ist die Kraft aus dem Fleisch.«
    Fa blickte auf den Magen und zog die Brauen zusammen. Sie legte ihre rechte Hand flach auf den Kopf. »Ich sehe ein Bild.«
    Sie kroch aus der Höhlennische heraus und wies auf den Wald und das Meer.
    »Ich bin am Meer und sehe ein Bild. Das ist das Bild von einem Bild. Ich –« Sie sah angestrengt vor sich hin und zog erneut die Brauen zusammen, »– denke.« Sie kam zurück und hockte sich neben die Alte. Sie bewegte den Oberkörper leise wiegend hin und her. Die Alte stützte sich mit den Knöcheln der einen Hand auf den Boden und kratzte sich mit der anderen unter dem Mund. Fa fuhr fort. »Ich sehe ein Bild, wie die Gefährten die Muscheln am Meer ausleeren. Lok schüttet schlechtes Wasser aus einer Muschel.«
    Lok begann zu schnattern, doch Fa hieß ihn schweigen. »– Liku ist da, und Nil –« Sie stockte, die scharf umrissenen Einzelheiten ihres Bildes

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