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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
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Jenseitiges erhoben. Da die Gefährten nicht sehen konnten, was sie sah, verharrten sie stumm und bedachten wirr das Bild von Kein-Ha. Aber Ha war doch bei ihnen. Sie sahen ihn leibhaftig vor sich, kannten alle seine Gebärden, seinen Geruch, sein kluges, stilles Gesicht. Sein Dornenast lehnte dort am Fels, seine heiße Faust hatte einen Teil des Schaftes geglättet. Seine Felsenecke wartete auf ihn, und da vor ihnen war die Stelle, wo sein Körper die Erde gehöhlt hatte. All dies setzte sich in Loks Kopf zusammen zu einem Bild von Ha, machte sein Herz schwellen, gab ihm Kraft, Ha aus der Luft zu ihnen herabzuholen. Plötzlich sprach Nil. »Ha ist fort.«

IV
    Verwundert sah Lok das Wasser aus ihren Augen fließen. Es verhielt zögernd am Rand der Augenhöhlen, fiel ihr dann in dicken Tropfen auf den Mund und auf das Junge. Sie lief zum Fluß und heulte in die Nacht hinaus. Er sah auch die Tropfen aus Fas Augen in das Feuer blitzen, und dann eilte Fa zu Nil, und sie heulten beide in das Angesicht des Flusses. Das Gefühl, daß Ha noch da war, wo so vieles von ihm sprach, erfaßte Lok mit übermächtiger Gewalt. Er lief ihnen nach, packte Nil am Handgelenk und schwenkte sie herum. »Nein!«
    Sie drückte das Junge so wild an sich, daß es zu wimmern anfing. Das Wasser tropfte ihr immer noch vom Gesicht. Sie schloß die Augen und machte den Mund auf und heulte abermals laut und ohne Unterlaß. Lok schüttelte sie erregt.
    »Ha ist nicht fort! Sieh –«
    Er rannte zurück zur Höhlennische und wies auf den Dornenast, den Fels, die Höhlung im Boden. Überall war Ha. Lok schnatterte auf die Alte ein. »Ich sehe ein Bild von Ha. Ich werde ihn finden. Wie soll Ha einem Anderen begegnen? Es gibt keinen Anderen auf der Welt –«
    Fa sprach voll Eifer. Nil schnüffelte laut und hörte zu. »Wenn es einen Anderen gibt, dann ist Ha mit ihm gegangen. Laß Lok und Fa gehen und –« Die Alte machte eine Bewegung, und Fa verstummte. »Mal ist sehr krank, und Ha ist fort.« Sie sah alle der Reihe nach an. »Jetzt ist nur noch Lok da.« »Ich gehe ihn suchen.«
    »Und Lok hat viele Worte und keine Bilder im Kopf. Auf Mal dürfen wir nicht hoffen. Laßt also mich sprechen –«
    Sie hockte sich feierlich neben dem dampfenden Beutel hin. Lok fing ihren Blick auf, und die Bilder verschwanden aus seinem Kopf. Aus ihren Worten klang die gleiche Autorität, mit der Mal gesprochen hätte, wäre er nicht krank gewesen.
    »Mal wird sterben, wenn ihm keine Hilfe kommt. Fa muß den Eisfrauen eine Gabe bringen und zu Oa für ihn bitten.«
    Fa hockte sich neben sie.
    »Was für ein Anderer kann das sein? Ist einer lebendig, der tot war? Ist einer aus Oas Schoß zurückgekommen, wie vielleicht mein Kleines, das in der Höhle am Meer gestorben ist?« Nil schnüffelte wieder. »Lok soll gehen und ihn suchen.« Die Alte wies sie zurecht.
    »Die Frau für Oa, und der Mann für Bilder in seinem Kopf. Lok soll sprechen.«
    Lok lachte töricht. Er sah sich jetzt an Mals Stelle dem Zug der Gefährten vorausschreiten, tollte nicht mehr mit Liku sorglos hinter den anderen drein. Die erwartungsvolle Aufmerksamkeit der drei Frauen überwältigte ihn. Er blickte zu Boden und rieb die Füße aneinander. Er rutschte auf seinem Platz herum, bis er ihnen den Rücken zukehrte. »Sprich, Lok!«
    Er versuchte, sich mit den Augen an einem Punkt im Dunkel festzusaugen, der ihn davontragen, ihn die Harrenden vergessen machen könnte. Sein abwesender Blick fiel auf den Dornenast, der an der Felswand lehnte. Mit einemmal war ihm die ganze Ha-heit Has in der Höhlennische gegenwärtig. Höchste Erregung erfaßte ihn. Er begann in raschen Worten daherzuplappern. »Ha hat hier eine Stelle unter den Augen, wo ihn der Ast verbrannt hat. Er riecht – so! Er spricht. An seinem großen Zeh ist ein kleines Haarbüschel –« Er sprang umher.
    »Ha hat einen anderen gefunden. Ha stürzt von der Klippe — das ist ein Bild. Dann kommt der andere gerannt. Er ruft Mal zu: ›Ha ist ins Wasser gefallen!‹« Fa sah ihn scharf an. »Der andere ist nicht gekommen —« Die Alte faßte sie am Handgelenk.
    »Dann ist Ha nicht gefallen. Geh schnell, Lok. Such Ha und den anderen.« Fa zog die Brauen zusammen. »Kennt der andere Mal?« Lok lachte abermals. »Jeder kennt doch Mal!«
    Fa hieß ihn mit einer schnellen Handbewegung schweigen. Sie zerrte mit den Fingern an den Zähnen. Nil sah vom einen zum anderen und verstand nicht, was sie sagten. Fa nahm die Finger aus dem Mund und

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