Die Erben
die anderen der Reihe nach an. »Wo ist Ha?«
Die Alte preßte die Hände auf den Kopf, bedachte das neue Problem einen Augenblick und gab es dann auf. Sie hockte sich neben dem Magen nieder und begann Fleisch herauszufischen. »Ha hat mit dir Holz gesammelt.« Nil wurde böse. »Nein! Nein! Nein!«
Sie hüpfte umher. Ihre Brüste sprangen auf und ab, und Milchtröpfchen traten aus den Warzen. Das Junge schnupperte und krabbelte ihr über die Schulter. Sie hielt es wild mit beiden Händen fest, so daß es quäkte, bevor es trank. Sie hockte sich auf den Stein nieder und fing die anderen aufgeregt mit ihren Blicken ein.
»Seht dieses Bild. Wir tragen Holz zu einem Haufen. Wo der große tote Baum ist. Auf der Lichtung. Wir sprechen über das Reh, das Fa und Lok gebracht haben. Wir lachen.«
Sie blickte über das Feuer und streckte den Arm aus. »Mal!«
Er wandte ihr die Augen zu. Er keuchte weiter. Nil sprach zu ihm, während das Junge an ihrer Brust saugte und hinter ihr das letzte Sonnenlicht aus dem Wasser stieg. »Dann geht Ha zum Fluß um zu trinken, und ich bleibe bei dem Holz.« Sie sah aus, wie Fa aussah, wenn die Einzelheiten eines Bildes über ihre Fassungskraft gingen. »Er geht auch um Wasser zu machen. Und ich bleibe bei dem Holz. Aber er schreit: ›Nil!‹ Da stehe ich auf und –« sie ahmte sich selbst nach – »da sehe ich, wie Ha auf die Klippe zurennt. Er läuft hinter etwas her. Er sieht zurück und er ist froh und dann hat er Angst und dann ist er froh – so! Dann kann ich ihn nicht mehr sehen.« Und sie folgten ihrem Blick einen Felshang hinauf, und auch sie konnten ihn nicht mehr sehen. »Ich warte und warte. Dann suche ich ihn bei der Klippe und will dann das Holz holen. Auf der Klippe ist keine Sonne mehr.« Ihr Haar sträubte sich und die Lippen gaben die Zähne frei.
»Auf der Klippe ist ein Geruch. Zwei. Ha und noch einer. Nicht Lok. Nicht Fa. Nicht Liku. Nicht Mal. Nicht sie. Nicht Nil. Ein anderer Geruch, von keinem. Der geht die Klippe hinauf und wieder hinunter. Und der von Ha geht die Klippe hinauf. Und unten sind die grünen Tangschwänze, und die Sonne ist untergegangen; und dann ist nichts mehr.«
»Das ist ein Bild aus einem Traum. Es gibt keinen Anderen.«
Nil begehrte erneut zornig auf.
»Nicht Lok. Nicht Mal –« Sie ging witternd die Felswand entlang, geriet dabei der Ecke zu nahe, die auf die Klippe hinausführte, und kam mit gesträubten Haaren wieder zurück. »Da hört der Geruch von Ha auf. Mal –!« Die anderen prüften bedächtig dieses Bild. Die Alte machte den dampfenden Beutel auf. Nil sprang über das Feuer und kniete neben Mal nieder. Sie berührte seine Wange. »Mal! Hörst du mich?« Mal antwortete unter Keuchen. »Ich höre.«
Die Alte reichte Nil Fleisch. Nil nahm es, ohne davon zu essen. Sie wartete, daß Mal etwas sagte, aber die Alte sprach an seiner Statt.
»Mal ist sehr krank. Ha sieht viele Bilder. Iß jetzt und sorg dich nicht mehr.«
Nil schrie sie so wild an, daß die anderen im Essen innehielten.
»Ha ist nicht da! Der Geruch von Ha hat aufgehört!« Einen Augenblick lang verharrten sie wie erstarrt. Dann wandten sie sich um und blickten auf Mal, der am Boden lag. Mit großer Mühe richtete er seinen Oberkörper auf und wiegte sich auf den Hinterbacken. Die Alte wollte etwas sagen, schwieg aber. Mal legte sich die Hände flach auf den Kopf. Jetzt ward es ihm noch beschwerlicher, das Gleichgewicht zu bewahren. Er begann zu schwanken. »Ha ist zu den Klippen gegangen –« Er hustete und mußte seinen ganzen Atem hergeben. Sie warteten, bis sein Keuchen wieder langsamer ging.
»Dann ist ein anderer Geruch da –«
Er zog mit beiden Händen an seinem Kopf. Er begann zu zittern. Ein Bein schoß vor, und der Hacken bewahrte ihn vor dem Fall. Die Gefährten warteten, rotfellig im Abendglühen und Feuerschein, und der Dampf aus der Brühe stieg mit dem Rauch empor, und das Dunkel verzehrte ihn.
»Dann ist ein neuer Geruch da —«
Einen Augenblick lang hielt er den Atem an. Dann sahen sie, wie sich die verbrauchten Muskeln seines Körpers entspannten, und er fiel zur Seite, als fürchtete er nicht den Schmerz des Aufschlags. Sie sahen seine flüsternden Lippen.
»Ich kann dieses Bild nicht sehen.«
Sogar Lok verhielt sich still. Die Alte trat auf die Wandnischen zu und holte frisches Holz, und sie wandelte wie im Schlaf. Sie verrichtete alles mit fühlenden Händen und Füßen, denn ihre Augen sahen die anderen nicht, waren auf
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