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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
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Zeit abgewetzt worden, die da hindurchgeschritten waren. Er verhielt eine Weile über dem ungeheuren Brausen des Wasserfalls und lauschte der Antwort seiner Nase. Die Witterungen bildeten ein Muster in Zeit und Raum. Hier, über seiner Schulter, war der frischste Geruch von Nils Hand am Felsen. Etwas tiefer war eine ganze Gruppe von Gerüchen, Gerüche der Gefährten, wie sie gestern hier vorübergezogen waren, Gerüche von Schweiß und Milch und der säuerliche Geruch von Mal in seiner Schmerzensnot. Lok witterte über all diese Spuren hinweg und setzte seine Nase auf den letzten Geruch von Ha an. Neben jedem Geruch ging ein Bild einher, das greifbarer war als Erinnertes, eine Art lebende, wenn auch eingeschränkte Gegenwärtigkeit, so daß Ha jetzt wieder lebte. Lok ließ das Bild von Ha in seinen Kopf einsinken und wollte es dort aufbewahren, um es nicht mehr zu vergessen. Er stand gebückt und hielt den Ast in der einen Hand. Dann hob er ihn langsam und nahm ihn in beide Hände. Die Knöchel färbten sich weiß, und er tat vorsichtig einen Schritt rückwärts. Dort war etwas Neues. Es blieb, auch wenn er die Gerüche aller Gefährten fortdachte, es blieb, ein Geruch, der ihm kein Bild eingab, ein Geruch ohne Bild. Jetzt da er die Spur erfaßt hatte, witterte er sie ganz stark an der Ecke. Jemand hatte da gestanden, mit der Hand auf dem Fels, hatte sich vorgebeugt und um die Kante auf die Terrasse und in die Höhlennische gespäht. Ohne nachdenken zu müssen, verstand er die blinde Ratlosigkeit auf Nils Gesicht. Er bewegte sich die Klippe entlang vorwärts, zuerst langsam dann immer schneller, bis er über die Felsplatten dahinflog. Ein Wirrwarr von Bildern tanzte in seinem Kopf, während er voranstürzte: hier war Nil, verwundert, erschreckt – hier der andere – hier kam Ha, er ging ganz schnell – Lok wandte sich um und ging zurück. Auf der Plattform, von der er am Tag zuvor auf so unerklärliche Weise heruntergestürzt war, brach Has Geruchsspur ab, als hätte die Klippe hier geendet.
    Lok beugte sich vor und blickte hinab. Er sah die Tangzöpfe beben unter dem Glanzspiegel des Flusses. Er spürte, wie die Laute der Wehklage aus seiner Kehle dringen wollten, und schlug sich die Hand vor den Mund. Die Tangzöpfe zitterten, der Fluß rollte eine Flut verschlungenen Silbers das dunkle Ufer der Insel entlang. Ein Bild erstand ihm, von Ha, von Ha, der in den Wellen kämpfte und von der Strömung dem Meer entgegengetragen wurde. Lok spürte dem Geruch auf dem Fels nach, folgte der Witterung Has und des anderen bis hinunter zum Wald. Er kam an den Büschen vorüber, wo Ha für Liku Beeren gesammelt hatte, verwelkte Beeren, und Ha lebte immer noch dort, war in den Büschen gefangen. Seine Handfläche war über die Zweige geglitten, hatte die Beeren abgestreift. Er lebte in Loks Kopf, aber rückwärts, ihrem Frühjahrszug vom Meer in die Berge entgegen. Lok sprang den Hang zwischen den Felsen hinab und war unter den Bäumen. Vor dem Mond, der so hell auf den Fluß schien, hingen hier hohe Triebe und reglose Äste. Die Stämme waren dicke Säulen aus Dunkel, aber wenn er sich bewegte, ließ der Mond ein Lichtnetz auf ihn herabfallen. Hier war Ha und sein erregtes Erstaunen. Hier ging er zum Fluß. Dort bei dem verlassenen Holzhaufen war die Stelle, an der Nil geduldig gewartet hatte, bis ihre Füße Spuren hinterließen, die jetzt schwarz waren in einem See von Licht. Hier war sie Ha gefolgt, ratlos, besorgt. Die sich verschlingenden Spuren eilten zurück den Fels hinauf zur Klippe.
    Abermals sah Lok Ha im Fluß. Er begann zu rennen, hielt sich so dicht wie möglich am Ufer. Er kam auf die freie Stelle, die Lichtung, wo der tote Baum stand, und eilte zum Fluß hinab. Büsche wuchsen aus dem Wasser und neigten sich darüber. Er erkannte das Wasser da, wo Zweige in die Strömung hineinhingen und den Mond aus dem Dunkel hervorkämmten. Er begann zu rufen. »Ha! Wo bist du?«
    Der Fluß gab keine Antwort. Lok rief wieder und wartete, und das Bild von Ha verschwamm und verblaßte, und da begriff er, daß Ha nicht mehr da war. Plötzlich drang von der Insel ein Schrei herüber.
    Lok rief noch einmal und sprang auf und nieder. Aber während er noch sprang, fühlte er immer deutlicher, daß dies nicht Has Stimme war, die da gerufen hatte. Das war eine andere Stimme; nicht die Stimme der Gefährten. Es war die Stimme des Anderen, des Neuen. Plötzlich ergriff ihn höchste Erregung. Es war ungeheuer wichtig, daß er diesen

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