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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
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zu einer Art Spalte in der Klippe, und Wasser fiel da herunter und stürzte dann in die Schlucht. Dieses Wasser war so kalt, daß es ihn biß, als ihm ein Tropfen ins Gesicht spritzte. Er witterte Fa und Fleisch auf dem Gestein und kroch in die Spalte. Sie führte geradewegs aufwärts, oben sah er einen schmalen Streifen Mondhimmels. Der Fels war glitschig vom Wasser und wollte ihn abweisen. Fas Geruch zeigte ihm den Weg. Als er die Stelle erreicht hatte, wo der Himmel war, sah er, daß die Spalte sich zu einer Rinne auftat, die stracks in den Berg hineinzuführen schien. Er blickte zurück, und der Fluß war ganz schmal in der Schlucht, und alles nahm andere Gestalt an. Mehr denn je verlangte ihn nach Fa, und er betrat gebückt die Rinne. Hinter ihm, jenseits der Schlucht, waren die Berge eisige Hörner, die glänzten. Er hörte Fa nicht weit voraus dahinschreiten und rief ihr zu. Sie kam schnell die Rinne herab zurückgeeilt, von Stein zu Stein springend über das gurgelnde Wasser. Geröll knirschte unter ihren Füßen, und der Lärm hallte von den Klippen wider, daß es sich anhörte wie eine ganze Gruppe von Gefährten. Dann war sie ganz dicht bei ihm, das Gesicht verzerrt vor Zorn und Furcht. »Sei still!«
    Lok hörte nicht. Er schwatzte.
    »Ich habe den anderen gesehen. Ha ist in den Fluß gefallen. Der andere ist gekommen und hat nach der Höhlennische gesehen.«
    Fa packte ihn am Arm. Das Bündel hielt sie gegen die Brust gedrückt.
    »Sei still! Oa wird machen, daß die Eisfrauen es hören, und dann werden sie herunterfallen!« »Laß mich bei dir bleiben!«
    »Du bist ein Mann. Hier ist Schrecken. Geh zurück!« »Ich will nicht sehen und nicht hören. Ich will hinter dir bleiben. Laß mich mitkommen!«
    Das Brausen des Wasserfalls war nur mehr ein Seufzen, wie das Geräusch des Meeres auf große Entfernung und bei schlechtem Wetter. Die Worte waren ihren Lippen entflogen gleich einem Schwarm Vögel, die umherkreisten und sich geheimnisvoll vervielfachten. Die Wände der tiefen Rinne sangen. Fa legte ihm die Hand auf den Mund, und sie verharrten reglos, während die Wortvögel höher und höher flogen, bis bald kein Laut mehr zu ihnen drang außer dem Plätschern des Wassers zu ihren Füßen und dem leisen Seufzen des Falls. Fa wandte sich um und begann die Rinne hinaufzuklettern, und Lok eilte ihr hinterdrein. Sie blieb stehen und winkte ihn herrisch zurück, aber als sie weiterschritt, folgte er ihr nach. Da blieb Fa abermals stehen, rannte zwischen den Wänden hin und her, bewegte verzerrt die Lippen, so daß kein Laut hervorkam, und zeigte die Zähne, aber er wollte sie nicht lassen: zurück führte der Weg zu dem verwandelten Lok, der so unsagbar allein, ausgestoßen gewesen war. Schließlich gab sie es auf und kümmerte sich nicht mehr um ihn.
    Sie tappte die Rinne hinan, und Lok folgte ihr, und seine Zähne klapperten vor Kälte.
    Denn jetzt floß kein Wasser mehr zu ihren Füßen. An seine Statt traten feste Eisklumpen, die die Wände überzogen; und auf der sonnabgewandten Seite der Steine lagen Schneepolster. Alle Mühsal des Winters ward ihm wieder gegenwärtig und die namenlose Furcht vor den Eisfrauen, so daß er ganz dicht hinter Fa ging, als sei sie ein warmes Feuer. Der Himmel über ihm war ein schmales Band, ein frosterstarrter Himmel, der überall durchstochen war von Sternen und bestrichen mit Wolken, die das Mondlicht einfingen. Er sah jetzt, daß das Eis an den Wänden der Rinne hing wie Efeu, unten dicht und oben in immer zahlreichere Äste und Triebe auslaufend, und die Blätter glitzerten weiß. Eis war auch unter ihren Füßen, daß sie brannten und gefühllos wurden. Es dauerte nicht lange, und er ging auf allen vieren, und bald waren seine Hände taub wie seine Füße. Er sah Fa undeutlich vor sich dahinschwanken und folgte ihr. Die Rinne verbreiterte sich, und mehr Licht fiel herein, und er sah, daß sie einer steilen Felswand zustrebten. Unterhalb, zur Linken, war ein Streifen schwärzester Nacht. Fa kroch darauf zu und verschwand darin. Lok folgte. Der Einlaß war so schmal, daß er mit den Ellenbogen zu beiden Seiten anstieß. Dann war er hindurch.
    Licht betäubte ihn. Er bückte sich und hielt beide Hände vor die Augen. Blinzelnd unter sich sehend vermochte er Steine zu erkennen, die aufblitzten, Brocken aus Eis und dunkelblaue Schatten. Vor sich sah er Fas Gesicht, ganz weiß, mit Gefunkel überstäubt, und ihr Schatten veränderte seine Gestalt über dem Eis und den

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