Die Erben
an der Hand. »Sie suchen etwas.«
Der Stamm trieb langsam flußabwärts mit der Strömung, und die Sonne stieg empor. In der Ferne ging der Fluß in Flammen auf, daß sich für eine Weile der Wald zu beiden Seiten dunkel davon abhob. Die unnennbare Anziehungskraft der neuen Gefährten blies die weiße Wolke aus Loks Kopf. Er vergaß zu blinzeln. Der Stamm wurde kleiner, während er vom Wasserfall wegtrieb. Wenn er sich seitwärts drehte, grub der Mann am hintersten Ende wieder, und dann wies der Stamm erneut geradewegs in Loks Blickrichtung. Die Männer ließen das Ufer nicht aus den Augen. »Da ist noch ein Stamm«, flüsterte Fa. Das Gebüsch am Inselufer erbebte heftig. Es ging für einen Augenblick auseinander, und da Lok jetzt die Stelle kannte, zu der er hinsehen mußte, erblickte er das Ende eines weiteren Stammes, der dort verborgen lag. Ein Mann reckte Kopf und Schultern durch das grüne Laub und winkte herrisch mit dem Arm. Die beiden Männer in dem Stamm begannen schnell zu graben, bis der Stamm da angelangt war, wo der Mann winkte, gerade gegenüber dem toten Baum. Jetzt blickten sie aber nicht mehr auf den toten Baum, sondern auf den Mann, und nickten ihm mit ihren Köpfen zu. Der Stamm brachte sie an ihn heran und kroch unter die Büsche.
Neugierde erfaßte Lok; er rannte so aufgeregt in der Richtung des neuen Wegs zur Insel, daß Fa sein Bild gleichfalls sah. Sie holte ihn ein und hielt ihn wieder fest.
»Nein! Nein!«
Lok plapperte darauf los. Fa schrie ihn an. »Ich sage ›nein!‹« Sie wies auf die Höhlennische. »Was hast du gesagt? Fa sieht viele Bilder –« Schließlich verstummte er und wartete. Ihre Stimme klang feierlich.
»Wir gehen in den Wald hinunter. Um Nahrung. Wir beobachten sie, über den Fluß.«
Sie liefen den Hang hinab, der vom Fluß wegführte, so daß zwischen ihnen und den Neuen Felsen lagen. An den Waldrändern gab es Nahrung; Knollen, aus denen gerade eine Spitze Grüns herauslugte, Maden und Schößlinge, Schwämme, die zarte Innenseite einiger Rindenarten. Das Fleisch des Rehs war noch in ihnen, und sie spürten nicht jenes Eßverlangen, das sie Hunger genannt hätten. Sie mochten essen, da sie Nahrung fanden, wären aber leicht bis morgen und notfalls auch bis übermorgen ausgekommen. Deshalb fühlten sie sich nicht zur Nahrungssuche getrieben, so daß sie der seltsame Reiz, der von den neuen Gefährten ausging, zu den Büschen am Rand des Wassers lockte. Sie standen mit eingebogenen Zehen im Schlamm und lauschten durch das Tosen des Falls hindurch den Geräuschen der Neuen. Eine frühe Fliege summte um Loks Nase. Die Luft war warm und die Sonne von sanfter Helle, so daß er wieder gähnte. Da hörte er die Neuen in ihren Vogellauten miteinander sprechen und verschiedene andere unerklärliche Geräusche machen, die nach dumpfen Schlägen und nach Knarren klangen. Fa schlüpfte zum Rand der Lichtung bei dem toten Baum und legte sich auf die Erde.
Jenseits des Wassers war nichts zu sehen, doch das Schlagen und Knarren ging fort.
»Fa. Steig auf den toten Baum und sieh, was sie machen.« Sie wandte den Kopf und sah ihn zweifelnd an. Und er spürte sogleich, daß sie nein sagen und darauf bestehen würde, daß sie fortgingen von den neuen Gefährten und eine große Spanne Zeit zwischen sich und Liku legten; und dies wuchs zu einem Wissen an, das unerträglich war. Er glitt schnell auf allen vieren vorwärts und eilte an der verborgenen Seite den toten Baum hinauf. Im Nu wühlte er sich durch den Zottelkopf aus staubigen, dunklen, säuerlich riechenden Efeublättern. Er hatte sich kaum in den hohlen Wipfel hineingezogen, als auch Fas Kopf zum Vorschein kam.
Der Baumwipfel war oben offen wie eine große, runde Nußschale. Es war weiches, weißes Holz, das sich dem Druck ihrer Leiber anpaßte und viel Nahrung barg. Der Efeu rankte hinauf und hinunter in dunklem Geflecht, so daß sie wie in einem Gebüsch saßen. Die anderen Bäume ragten höher hinaus, doch zum Fluß hin und zu dem grünen Gewoge der Insel war der Himmel frei. Als Lok vorsichtig wie auf der Suche nach Eiern die Blätter auseinanderschob, sah er, daß er eine Öffnung machen konnte, durch die er gerade hindurchzublicken vermochte; und obwohl die Ränder seines Guckloches sich ein wenig bewegten, konnte er den Fluß und das andere Ufer wegen der dunklen Blätter, die dieses Bild säumten und hervorhoben, nur umso deutlicher sehen – als ob er die Hände gekrümmt hätte und durch sie hindurchschaute.
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