Die Erben der alten Zeit - Das Amulett (Die Erben der alten Zeit - Trilogie) (German Edition)
hatte sie so gar keine Vorstellung mehr davon, wo sich diese berühmte Grenze zwischen Einbildung und Realität befand. Wenn ihre Vermutungen stimmten - und so langsam gab es keine vernünftige andere Erklärung mehr für die Ereignisse des vergangenen Tages - ja, wenn es stimmte, dann musste sie wohl oder übel diese Grenzen neu definieren. Aber wie? Wenn es stimmte... wenn es wahr war, dass sie irgendwie in eine andere Welt geraten war...
Einige Halme piekten Charlie in den Nacken. Das kurze Haar polsterte sie nicht so gut, wie sie es gewohnt war. Sie legte sich bequemer zurecht und ging in Gedanken alles noch einmal durch.
Der Stein. Der Stein war definitiv kein normaler Stein. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich, dass der Stein der Grund all dieser Merkwürdigkeiten war. Erst nachdem sie ihn umgehängt hatte, geschahen diese seltsamen Dinge. Und der Nebel. Im Polizeibericht hatte gestanden, dass die Kiste mit ihr darin aus dem Nebel gekommen war. Sozusagen aus dem Nichts! Das Baby Charlie hatte ebenfalls diesen Stein um den Hals getragen. Charlie holte tief Luft und sprach ihren Gedanken laut aus, um sich selbst zu überzeugen. Sie musste wissen, wie es klang. Klang es plausibel oder war es völliger Nonsens?
»Ich bin aus dem Nebel gekommen, aus dieser Welt bin ich in meine Welt, die Erde gereist. Jetzt bin ich durch den Nebel zurückgereist, in die Welt, aus der ich damals gekommen bin«, flüsterte sie in die Dunkelheit des alten, verfallenen Schuppens hinein. »Es ist die ein zig logische Erklärung!« Ja, es war die einzig logische Erklärung. Die einzige Möglichkeit, die alle Ereignisse erklären konnte. Ihr Auftauchen aus dem Nebel, die als geheim eingestuften Laborergebnisse der Holzkiste und des Seidenhemdchens, und alles andere, was ihr heute sonst noch so passiert war. Ja, so musste es sein, und jetzt befand sie sich in der Welt aus der sie ursprünglich kam. In der Welt in der meine Eltern leben! , schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Meine leiblichen Eltern! Hier kann ich erfahren, wer ich wirklich bin!
Aufgeregt setzte sie sich kerzengerade auf. Sie hatte Heu im Haar, das wie Strohhalme in alle Himmelsrichtungen in die Luft ragte, und sie starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit, beziehungsweise in das Halbdunkel. Ein fast voller Mond hatte sich über die Öffnung im Dach geschoben und tauchte den Innenraum des kleinen Schuppens in ein graues Schummerlicht. Charlie konnte nun die verschwommenen Konturen des Durcheinanders um sich herum erkennen.
Bevor sie ihren letzten Gedanken weiter vertiefen konnte, hörte sie von draußen ein leises Rascheln. Dann wurde die Tür des Schuppens langsam aufgeschoben und herein kam ein schnaufender Junge, vollgepackt mit lumpigen Klamotten, Decken und etwas zu essen. In der Tür blieb er kurz stehen, warf einen prüfenden Blick auf Charlie und ihr Nachtlager und nickte zufrieden.
»Ein Bett hast du dir ja schon gebaut, wie ich sehe«, flüsterte er ihr entgegen. »Hier, zieh das an«, befahl er und warf Charlie eine graubraune Hose, ein Hemd in der gleichen schmuddeligen Farbe und einen dunkelgrünen und schon diverse Male geflickten Umhang zu. Alle Sachen waren aus dem gleichen fließenden Stoff wie auch der Junge ihn trug. Charlie zögerte. Sie hielt die Kleidungsstücke hoch, sah den Jungen an und fragte:
»Wie heißt du?« Der Junge lächelte zum ersten Mal, seit sie ihm begegnet war und hielt ihr ein Paar sehr seltsame Schuhe entgegen.
»Biarn«, antwortete er. »Du solltest besser die hier anziehen, auch wenn deine...«, er zögerte und sagte schließlich »... sehr stabil aussehen...«
Charlie hatte einfache Halbschuhe an. Das was Biarn ihr reichte waren so eine Art Ledermokassins. Indianerschuhe , dachte Charlie.... und außerdem Biarn . Und er fand ihren Namen seltsam! Charlie ließ sich nichts anmerken und legte Schuhe, Kleidung und Umhang auf ihre Heumatratze.
»Danke«, sagte sie schließlich mit einer Handbewegung in Richtung Klamottenberg. »Ich werde mich gleich umziehen.« Die beiden Jugendlichen standen sich eine Weile schweigend gegenüber. Dann räusperte sich Biarn und sagte:
»Ich habe nicht mehr viel Zeit. Hier ist noch was zu essen und eine Decke. Du kannst hier schlafen, musst aber vor Sonnenaufgang wieder weg sein. Es könnte jemand vorbeikommen. Kriegst du das hin?« Charlie nickte. Dann fiel ihr ihre Uhr ein.
»Wie spät ist es?«, fragte sie hastig. Biarn schaute Charlie verdutzt
Weitere Kostenlose Bücher