Die Erben der alten Zeit - Das Amulett (Die Erben der alten Zeit - Trilogie) (German Edition)
neue Wohnorte und somit auch neue Schulen und Klassenkameraden mit sich gebracht. Hier fühlte sie sich seit langem zum ersten Mal wieder so richtig wohl. Außerdem konnte Charlie sich seit ihrer Entdeckung des 26-Stunden-Tages auf ihre Armbanduhr verlassen. Sie wusste nun stets genau, wann es dunkel wurde und konnte so ungehindert und gefahrlos auf Erkundungstouren gehen. Sie durfte nur nicht vergessen ihre Uhr jeden Morgen um zwei Stunden zurückzustellen!
An einem ihrer Jagdtage mit Kunar durchstreiften sie wieder einmal stundenlang den Wichtelwald. Sie hatten sich diesmal wesentlich weiter durchgeschlagen als sonst, aber es wollte ihnen einfach keine geeignete Beute über den Weg laufen. Kunar ging ein ganzes Stück vor Charlie, die stehengeblieben war, um einige Kräuter mitzunehmen, an denen sie einfach nicht vorbeigehen konnte. Und da sah sie es! Ein einsamer Leogriff saß auf einem Ast direkt über ihr! Hatte Kunar nicht gesagt, sie treten in großen Scharen auf? Dieser hier war definitiv alleine. Der etwa 30 cm große Vogel putzte sich ausgiebig sein rosa geflammtes Gefieder. Seine Zunge fuhr regelmäßig und systematisch durch die langen Federn und ab und zu knabberte er mit seinen spitzen Zähnchen etwas hartnäckigeren Schmutz weg. Charlie stand regungslos da und starrte den seltsamen Vogel an. Bisher hatte sie ihn nur tot gesehen. Und gegessen hatte sie Leogriff in den letz ten Wochen unzählige Male. Er s chmeckte fast wie Hühnchen. Charlie hatte sich da schon über sein merkwürdiges Aussehen gewundert.
Der einsame Leogriff schüttelte sein Löwenhaupt. Die sandbraune, pelzige Mähne flog seidenweich von rechts nach links und zurück. Er gähnte und zeigte dabei seine stattliche Reihe an spitzen, kleinen Zähnen. Dann drehte der Leogriff seinen Löwenkopf und steckte ihn in bekannter Vogelmanier in sein Gefieder.
Charlie hatte den Bogen schon gespannt und der Pfeil lag in der Seidenspinnersehne bereit. Sie zielte, aber dann konnte sie es einfach nicht! Dieser Leogriff war Einzelgänger. Genau wie sie. Man hatte es schwer alleine, das wusste sie. Nachts, wenn Tora und Kunar zum Saligasterhof zurückritten, konnte sie die Einsamkeit spüren. Obwohl sie wusste, dass sie zurückkamen. Charlie senkte den Bogen und sah den schlafenden Leogriff noch einmal nachdenklich an. Nicht dieses Mal, dachte sie. Nicht dieser Leogriff.
Lächelnd folgte sie Kunars Spur durch den Wald. Zahlreiche Insekten huschten über den Waldboden. Viele davon waren unterschiedliche Ausgaben dieser grasgrünen Spinne, die Charlie an ihrem zweiten Tag in Vanaheim so erschreckt hatte. Mittlerweile wusste sie, dass sie harmlos waren. Es gab Millionen von ihnen, in allen erdenklichen Größen. Von nadelkopf-bis fast tellergroß. Allesamt gras - grün. Anfangs hatte Charlie sich bei den größeren, selteneren Exemplaren sehr zurückhaltend verhalten. Heute scheuchte sie s ie einfach nur noch mit einem »Scht!« davon. Auch Fichtenwichtel wuselten immer noch schimpfend und grunzend durch den Wald. Es waren aber weniger geworden.
Charlie schlenderte gemächlich den Wildpfad entlang. Von Kunar war keine Spur zu sehen oder zu hören. Das beunruhigte Charlie aber weniger, wusste sie doch, dass Kunar immer den Wildpfaden folgte, um sich nicht zu verirren. Früher oder später würde sie schon auf ihn stoßen.
Plötzlich trat Charlie aus dem Wald heraus und blickte über einen großen sonnenüberfluteten See! Es war in den letzten Wochen wärmer geworden und der Sommer versuchte mit aller Macht den Frühling abzulösen. Abgesehen von dem schmalen Bach bei der Blumenwiese und dem Bach, in der Nähe des Schlosses, war dies das erste Gewässer, das Charlie in Vanaheim sah. In Smâland stieß man überall wo man hinsah auf Seen aller Größen.
Der Wildpfad führte in einigem Abstand am See vorbei. Charlie atmete tief durch und genoss den Anblick der Stille, die der große See ausstrahlte. Vom Wildpfad aus starrte sie lange in die Sonne und ließ ihren Blick in die Ferne gleiten. Der See war von einem grünen Blättermeer überzogen. In riesigen Inseln trieben diese tiefgrünen Pflanzen über die Oberfläche. Charlie schloss die Augen und spürte die Wärme in ihrem Gesicht, als plötzlich etwas ihre Beine streifte und über ihre Zehenspitzen rollte! Die Augen nun weit aufgerissen, starrte Charlie paralysiert auf das Ding , das sich rollend von ihr entfernte, als wäre überhaupt nichts gewesen! Das Ding, welches nun langsam auf das Ufer
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