Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
essen.«
Inga baute sich vor ihrer Mutter auf.
»Du wirst dich nicht anstrengen! Ich schaffe das schon!«
»Wir werden ihr helfen«, sagte Tora. »Wenn Ihr es erlaubt, können wir einige Tage bleiben und Inga unterstützen.«
»Es gibt keinen Grund für diese Anrede«, erwiderte die Frau. »Ich bin eine einfache Bauersfrau.« Dann sah sie Tora entschuldigend an. »Mein Mann starb vor nicht ganz einem Jahr. Es ist nicht leicht für Inga. Sie muss so viel arbeiten.«
»Wir helfen gerne«, wiederholte Kunar.
»Das ist sehr lieb von euch«, sagte die Frau. Kunar lächelte.
»Wenn du einen Blick hinaus wirfst, dann wirst du sehen, dass es nicht ganz uneigennützig ist. Bei diesem Wetter draußen zu schlafen, ist kein Vergnügen.«
»Ihr habt kein Heim?«, fragte die Frau bestürzt. »Es ist eine grausame Welt, in der wir leben.«
Sie zog die Decke dichter um ihre zierlichen Schultern.
»Mein Mann hat uns diesen Hof hinterlassen, und dank Kapitän Brages Schutz konnte ich ihn auch halten. Es wird nicht gerne gesehen, dass eine Frau alleine gut zurechtkommt.«
Nachdenklich sah sie ihren einzigen Sohn an. Er konnte nicht älter als vier Jahre sein und bohrte gerade mit dem Finger in der Nase herum.
»Ohne meinen kleinen Erben hier … ohne ihn hätte mich Ull einfach enteignet … Kapitän Brage wurde als Vormund für Klein-Arnold bestimmt. Rein rechtlich gesehen habe ich hier nichts zu sagen, und eigentlich dürfte ich nicht einmal unseren Unterhalt verdienen. Doch Kapitän Brage sah einige meiner Kleider und erteilte mir den Auftrag, ihm einen Mantel zu schneidern. Seit diesem Tag versorgt er mich mit den feinsten Stoffen aus Lifsheim und bringt mir Käufer aus ganz Vanaheim und Godheim. Er verdient gut daran und lässt es uns an nichts fehlen. Inga ist eine gute Hilfe und sehr geschickt mit ihren Händen. Sie wird bald eigene Kleider entwerfen. Aber sie ist noch so jung.«
»Mutter …«, murmelte Inga verlegen.
»Entschuldigt bitte«, lächelte die Frau. »Ich schweife ab.« Sie erhob sich mühsam. »Ich heiße Anna. Ihr könnt bleiben. Helft meiner Inga, dann könnt ihr bleiben«, murmelte sie und schlurfte zur Tür. Inga füllte Suppe in einen Holzteller und schickte sich an, ihrer Mutter zu folgen.
»Lass mich das machen, Inga«, bot Tora an. »Ihr solltet Holz herein holen, bevor wir nicht mehr vor die Tür kommen.«
Und so kam es, dass Kunar, Tora und Charlie auf dem Arnoldshof blieben. Sie halfen, wo sie nur konnten; holten Holz, bereiteten das Essen, backten Brote und Kuchen, kümmerten sich um die Kinder und um das Vieh und pflegten die Hausherrin Anna, die zusehends kräftiger wurde und rosa Wangen bekam.
Zwischen Inga und Tora entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Sie verbrachten viele Stunden mit Plaudern und steckten ihre Köpfe zusammen während sie gemeinsam die teuren Stoffe aus der Seidenspinnerstadt Lifsheim zuschnitten.
Der Alltag auf dem Arnoldshof hatte etwas Beruhigendes. Obwohl draußen Schneestürme tobten, fühlten sie sich geborgen. Trotz der schweren Arbeit herrschte hier ein Familienleben mit Liebe und Zusammenhalt, das Charlie an die glückliche Zeit mit Per und Lena erinnerte.
Anna war eine hingebungsvolle Mutter und zäher, als sie aussah.
Sie sei dem Bauernalltag durchaus gewachsen gewesen, erzählte Inga. Trotzdem hatte sie nach dem Tod ihres Mannes die großen Herden verkauft und nur ein Einhorn, einige Ziegen und Schafe sowie die Hühner behalten. Es reichte für den Eigenbedarf an Milch, Fleisch und Eiern, alles Übrige erwarben sie dank der Schneiderei.
Nach mehr als einer Woche klarte es auf. Ein heftiger Wetterumschwung ließ den Schnee innerhalb kurzer Zeit wieder verschwinden. Anna war noch zu schwach, um längere Zeit auf den Beinen zu sein, doch sie nahm ihre Mahlzeiten wenn möglich gemeinsam mit ihren sechs Sprösslingen und ihren Besuchern ein.
Heute gab es Wurzelgemüse mit Lamm und Jordhuvud – die kultivierte Art der großen Knolle, die Charlie gelegentlich wild gefunden hatte.
Satt und zufrieden machten sich Tora und Inga an den Abwasch, während Kunar und Charlie zu den Tieren gingen, die gefüttert und getränkt werden mussten.
Ein warmer Wind blies, es regnete leicht. Die Schwarzelfe Bil schien mit ihrer Voraussage eines milden Winters durchaus recht zu behalten.
Charlie und Kunar betraten den Stall und wurden von einem freudigen Wiehern begrüßt. Die Ziegen meckerten und die Schafe blökten.
»Ja, ja«, murmelte Charlie. »Ihr
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