Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
antwortete.
»Vielleicht geht es nur darum, dass du es weißt. Als Erinnerung daran, wie grausam Oden und seine Bärsärker sind, und wie außergewöhnlich deine Rolle in diesem Runenorakel ist.«
Charlie schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich eigentlich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch du und Tora ein interessantes Orakel zu hören bekommen würdet.«
Kunar hob zweifelnd die Augenbrauen.
»Doch, doch«, beharrte Charlie. »Ohne euch wäre ich niemals so weit gekommen. Ihr gestaltet gemeinsam mit mir die Zukunft.«
»Aber es ist nicht gesagt, dass wir sie zum Guten beeinflussen«, gab er zu bedenken. Charlie wiegte den Kopf.
»Davon müssen wir ausgehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir an uns und unsere Mission – wie du es nennst – auch tatsächlich glauben .«
Kunar schwieg eine Weile.
»Vielleicht werden deine Träume mit der Zeit deutlicher«, sagte er dann. »Ich glaube nicht, dass es heute Nacht brennt. Du sagtest doch, dass es ein Fest gegeben hat? Heute ist kein Festtag. Jedenfalls keiner, der mir bekannt wäre.«
»Du wirst bestimmt noch mehr Details erkennen«, fügte er dann noch hinzu, als er Charlies besorgtes Gesicht sah.
»Aber selbst dann werde ich wohl nichts tun können«, flüsterte Charlie. »Das Dorf könnte überall sein. Wer sagt, dass wir uns in dessen Nähe befinden? Wer sagt, dass es nicht Biarn ist, der sich irgendwo in Gefahr befindet? Oder jemand anderer, den wir kennen? Toroi oder die anderen im Küstendorf oder Anna mit ihren Kindern?«
Kunar begann, Charlies Ohnmachtsgefühl zu verstehen. Er wusste nichts darauf zu erwidern.
Dann schlief er ein.
Charlie blinzelte. Die Hütte war hell erleuchtet. Sie war während ihrer Nachtwache eingenickt!
»Verdammt!«, fluchte sie laut. Dem Sonnenstand nach war es bereits spät am Vormittag.
Kunar fuhr erschrocken in die Höhe.
»Was ist?«, fragte er schlaftrunken.
Charlies Gesicht sprach Bände. Während sie sich hastig ihre Kleidung überstreifte, wetterte sie leise vor sich hin.
»Verschlafen ... muss eingeschlafen sein… so ein Mist … gerade heute, wo es wichtig ist …«
Sie eilte zu dem Jungen hinüber, der neben Tora lag und sich zu regen begann.
Kunar war schneller. Er warf dem Jungen einen Mantel über das Gesicht.
»Er darf uns nicht sehen!«, murmelte er. Tora blitzte ihren Bruder aufgebracht an.
»Du kannst ihm doch nicht einfach …!«
»Tscht!«, zischte Kunar und riss seine Schwester unsanft hoch. »Je weniger er über uns weiß, desto sicherer ist es für uns!«
Ein Wimmern unterbrach den aufkeimenden Streit der Geschwister. Charlie und Kunar wechselten unschlüssige Blicke, dann kniete sie sich neben dem Jungen nieder. Sie räusperte sich und versuchte, ihre Stimme zu verstellen.
»Keine Angst«, sagte sie mit künstlich tiefer Stimme, »wir tun dir nichts.«
»Es ist so dunkel«, vernahmen sie eine schwache, verängstigte Stimme.
Charlie fühlte einen Stich ins Herz.
»Hab bitte keine Angst«, wiederholte sie etwas sanfter. »Es ist zu deiner eigenen Sicherheit«, sagte sie dann.
Tora stemmte ihre Hände in die Hüften.
»Zu seiner Sicherheit?«, fauchte sie und fing sich dafür von Kunar einen Stoß in die Rippen ein.
Charlie versuchte, so gut sie konnte zu erklären.
»Wie heißt du?«, fragte sie.
»Kitil«, antwortete der Junge mit zitternder Stimme.
»Du hast viel Blut verloren, aber du wirst wieder gesund werden. Aber du brauchst viel Ruhe.«
»Weißt du noch, was dir passiert ist?«, fragte Charlie zögernd, nachdem sie einen vielsagenden Blick mit Kunar gewechselt hatte.
»Ich bin angegriffen worden. Die Nidhöggs … ich habe es nicht rechtzeitig nach Hause geschafft … es hat so furchtbar geregnet … ich war doch fast da!«, schluchzte er.
»Wohnst du auf dem Hof hinter dem Hügel?«, fragte Charlie hoffnungsvoll.
»Ja«, presste der Junge hervor. »Meine Mutter macht sich bestimmt Sorgen. Sie ist allein. Vater ist verreist.«
»Wir werden dich und dein Einhorn gleich dorthin bringen«, versprach Charlie. »Aber …« Sie zögerte wieder. »Hm, äh … also zu deiner und unserer Sicherheit musst du uns versprechen, dass du nicht neugierig bist. Ich meine«, erklärte Charlie, »du solltest unsere Gesichter nicht kennen. Ich glaube, es werden Fragen gestellt werden, und es ist besser, dass du so wenig wie möglich weißt.«
»Ich werde nichts verraten!«, versicherte der Junge.
»Das glaube ich dir sogar«, erklärte Charlie. »Doch gegen die
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