Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Verhörmethoden gewisser … hm … Leute , ist der tapferste Mann nicht gefeit. Es ist sicherer so, glaube mir. Wenn dich jetzt jemand fragt, kannst du einfach die Wahrheit sagen und bringst dich dadurch nicht in Gefahr. Verstehst du?«
»Ich glaube schon …«, antwortete Kitil.
»Mir gefällt das nicht«, brummte Kunar.
»Mir auch nicht«, zischte Charlie. »Aber hast du eine bessere Idee?«
Kunar schwieg.
»Gut, dann packen wir jetzt zusammen und machen, dass wir hier wegkommen. Einverstanden?«, entschied Charlie.
Tora machte sich sofort an die Arbeit. Kunar ging hinaus, um die Einhörner zu satteln.
Nur wenig später waren alle zum Aufbruch bereit. Charlie hatte Kitils Wunden rasch noch einmal begutachtet. Sie sahen immer noch besorgniserregend aus.
Kunar stand abmarschbereit mit den bepackten Einhörnern vor der Hüttentür. Als er erkannte, dass Tora und Charlie wohl Hilfe benötigten, um den Jungen hinauszutragen, schaute er sich nach einer Möglichkeit um, das fremde Einhorn anzubinden. Gler würde ohne Charlie ohnehin nirgends hingehen.
Tora kam ungeduldig vor die Tür gelaufen.
»Wo bleibst du denn?«
Kunar wollte antworten, doch Gler riss plötzlich den Kopf hoch und starrte den Weg hinunter.
»Scht«, machte Kunar und legte den Finger über seine Lippen. Aufgeregte Stimmen klangen zu ihnen herüber.
»Wir müssen weg!«, zischte er. In der nächsten Sekunde stand er neben Charlie in der Schutzhütte.
»Es kommt jemand! Wir schaffen es nicht rechtzeitig! Wir müssen ihn hier lassen!«
Charlie stand nun unschlüssig da. Sie war von ihren Gefühlen hin- und hergerissen.
Den Jungen zurücklassen?
Es widerstrebte ihr, einen Verwundeten allein zu lassen, doch sie durften auf gar keinen Fall mit den Vorfällen des Vorabends in Verbindung gebracht werden. Der Junge wusste ohnehin schon zu viel. Er würde sie zwar nicht wiedererkennen, doch er konnte sich natürlich ausrechnen, dass sie etwas zu verbergen hatten.
Die Decke bewegte sich.
»Was ist los?«, fragte Kitil ängstlich.
»Es kommt jemand. Wir müssen gehen«, erklärte Charlie schnell. »Sie werden dich finden und dich zu deiner Mutter bringen. Raus hier!«
Kunar zog sich die Kapuze über den Kopf und war mit zwei langen Schritten durch die Tür.
»Es tut mir leid«, presste Charlie noch hervor, dann riss sie dem Jungen ihren Mantel aus dem Gesicht und verschwand.
Sie sah Tora, Kunar und Gler bereits zwischen den hohen, alten Bäumen des dunklen Mörkveden verschwinden, als auch schon eine Horde Männer in ihr Sichtfeld rannte. Sie zeigten aufgeregt durcheinanderrufend auf die vernichteten Bäume und die toten Nidhöggs.
Charlie drückte sich an die Hüttenwand und glitt lautlos um die Hausecke.
Hoffentlich hat mich keiner gesehen!
Da schrie schon jemand:
»Da war etwas!«
Schon stürmte ein halbes Dutzend starker Männer, bis auf die Zähne mit Mistgabeln, Messern und Hacken bewaffnet, auf den kleinen Vorhof. Die Einhornstute des Jungen geriet bei dem Anblick in Panik, zerriss dabei den Zügel, den Kunar nur notdürftig an der Tür festgemacht hatte, und schoss dann über den Hof.
Die Flucht war unnötig – denn der Jordvätte waltete seines Amtes. Die heranbrausenden Männer prallten wie Gummibälle an der Kraft des Vätten ab und wurden zurück auf den Weg geschleudert, wo sie sich inmitten der explodierten Bäume und zerrissenen Nidhöggs wiederfanden.
Charlie hatte alles mit großen, ungläubigen Augen mit angesehen, nutzte aber nun ihre Chance und verschwand ungesehen in den Tiefen des Mörkveden.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie Kunar, Tora und Gler eingeholt hatte.
Der Wald wurde immer dunkler, je weiter sie in ihn eindrangen. Die fast gespenstische Stille rief in Charlie ein beklemmendes Gefühl hervor. Kein vertrautes Hüsteln und Schniefen, kein Vogelgezwitscher, nicht einmal ein leises Wipfelrauschen im Wind.
Unverändert fiel ständig der feine Nieselregen herab. Die Gefährten kamen sich wie Eindringlinge in einem verwunschenen Land vor. Charlie setzte ihre magischen Fähigkeiten ein, um die ohnehin noch klamme Kleidung vor der Feuchtigkeit zu schützen. Hier, inmitten des Mörkveden, konnte – außer ihnen selbst und den hohen dunklen Bäumen – niemand ihre magische, regenfreie Schneise sehen. Das war zumindest ein Vorteil gegenüber dem vielbereisten Handelsweg quer durch Fensal.
Sie hatten die Orientierung verloren. Es gab keine Sonne, die sie als Wegweiser nutzen konnten, und der alte
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