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Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Titel: Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marita Sydow Hamann
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und brodelnd – zog genau auf das feiernde Dorf zu, wo er Tod und Verderben bringen sollte.
    Wie eine kleine Oase ruhte der Bereich des Jordvätten inmitten einer glühenden Aschebahn. Dem hohen Baum, auf dem Tora Ausschau gehalten hatte, fehlte ein Teil seiner Spitze, ansonsten war er unversehrt. Das Gras wuchs bis zu einer unsichtbaren Linie, als wäre nie etwas gewesen. Dahinter war alles verbrannt.
    »Wir haben getan, was wir konnten«, flüsterte Kunar. »Aber wird es reichen?«
    Alle schwiegen. Der Schock saß noch zu tief. Charlie fuhr ein Schauer über die Haut und eine einzige Frage wiederholte sich wie eine unendliche Schleife in ihrem Kopf.
    Hatte ihre Warnung das ahnungslose Dorf rechtzeitig erreicht?
    Die Fylgjen waren jedenfalls verschwunden.
     
    Ragnar bestand darauf, so schnell wie möglich eine andere Schutzstätte aufzusuchen – trotz der Dunkelheit.
    »Die Nidhöggs werden nicht hier sein«, war er sich sicher. »Oden geht davon aus, dass niemand sein magisches Inferno überlebt hat. Die Nidhöggs jagen nur in Gegenden, wo Blut garantiert ist. Nicht in einer Todeszone.«
    Ragnar kannte diese Gegend mit all ihren Schutzstätten und Unter-schlüpfen wie seine eigene Manteltasche. Wenn sie quer durch den Mörkveden Richtung Süd-Ost liefen, sagte er, würden sie auf einen kleinen Waldweg stoßen, der parallel zur Handelsstraße verlief. Von da aus war es nicht weit bis zum Haus eines Bekannten.
    Es war ihre beste Chance, ungeschoren davonzukommen, doch weder Charlie noch Tora und Kunar wollten gehen, ohne sich ein Bild über die Lage im Dorf gemacht zu haben.
    Ragnar stimmte widerwillig zu, obwohl er meinte, dass sie ohnehin nichts mehr tun könnten. Die Menschen – falls sie dem Inferno entkommen waren – würden sich zu helfen wissen. Sie kannten den Weg in die nächsten Schutzstätten.
    Die vier schlichen sich im Schutze der stehen gebliebenen Bäume in einem weiten Bogen in Richtung des Dorfes.
    Es dauerte nicht lange, bis sie erregte Rufe vernahmen. Beherzte Männer hatten das Kommando übernommen und führten hunderte Flüchtlinge quer durch den alten Wald. Charlie beobachtete erleichtert, dass sie offenbar unverletzt waren. Vom Feuer war nichts mehr zu sehen.
    Ob es das Dorf verschlungen hatte und danach erloschen war? Satt und zufrieden, seine Aufgabe erfüllt zu haben?
    Charlie hoffte, dass es nicht auch andere Dörfer zerstört hatte und dass auch die Barden der Nachbardörfer ihre Galdertrommel-Botschaft erhalten hatten.
    Charlie war glücklich. Sie hatten Leben gerettet – Leben, die Oden ohne ihr Eingreifen ausgelöscht hätte.
    Der Thul führte sie im Dunkel der Nacht zielsicher durch den Mörkveden. Nidhöggs waren nicht zu sehen.
    »Woran hast du oben im Ausguck gedacht? ?«, fragte Charlie Tora leise.
    Tora warf Kunar einen hastigen Seitenblick zu.
    »An Hanna«, murmelte sie kaum hörbar. Als Kunar nicht sichtbar reagierte, fuhr sie fort: »Aber es war so … ich weiß auch nicht … ich bin so weggeglitten .«
    Da schnaubte Kunar.
    »Weggeglitten«, knurrte er. »Eine nette Umschreibung für eingeschlafen«.
    Tora schien es nicht mitbekommen zu haben. Sie ging tief in Gedanken versunken hinter Ragnar her.
    »Dort vorne hinter dem Findling liegt der Weg«, flüsterte er und sah sich sorgfältig nach allen Seiten um. »Es ist nicht mehr weit.«
    Es stellte sich heraus, dass der Bauernhof menschenleer war. Sie legten sich in die Scheune schlafen. Ragnar wollte so früh wie möglich aufbrechen, um möglichst niemandem zu begegnen.
    Kunar und Tora atmeten tief und Ragnar gab leise Schnarchgeräusche von sich. Nur Charlie starrte in die Dunkelheit …
    Die Ereignisse des Tages ließen ihr noch keine Ruhe und zogen in kraftvollen Bildern an ihr vorbei:
    Die Wiese am Fluss, das Dorffest Disablot, die Geschichte von Kendra und Leviathan, Hugin und Munin, die Fylgjen, Ragnar, das magische Feuer, die Menschen auf der Flucht …
    Ihre Alpträume waren wahr geworden, doch sie und ihre Freunde hatten das tragische Ende verhindert. Die Dorfbewohner waren mit dem Leben davongekommen.
    Ihre Träume; Waren sie eine Gabe? Eine Waffe?
    Charlies Gedanken beschäftigten sich mit dem Orakel, und sie rief sich ihre Aufgaben ins Gedächtnis zurück. Zum einen musste sie die Frau mit dem dritten Teil des Amuletts finden. Immerhin befand sie sich bereits in Godheim und am Rande von Jättehem – der Heimat der Kentauren. Sie hatten vorgehabt, den Orökjahof aufzusuchen, um dort Orökja persönlich als

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