Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
auf.
»Tatsächlich? Wie?«
»Ich bin ein Emphat. Emphatische Fähigkeiten sind bei einem Menschen mit magischer Zukunft das erste Zeichen dafür, dass er einmal ein Magier der vier Elemente wird. Ich hatte bereits recht früh die Fähigkeit, in den Gefühlen meiner Mitmenschen zu lesen. Mit ein wenig Erfahrung und Menschenkenntnis lässt sich damit sehr oft eine treffende Aussage machen.«
»Ja, das kann ich mir gut vorstellen …«, murmelte Charlie und rutschte wieder bequem in den Sattel.
Charlie hing grübelnd ihren Gedanken nach.
Immer dann, wenn Biarn sie so eindringlich angesehen hatte, hatte er ihre Gefühle erforscht … und dieser Druck, der immer entstand … dasselbe Gefühl hatte sie unter Odens prüfenden Blick gespürt … aber sie hatte dem Druck widerstanden … irgendwann hatte sie gelernt, Biarn bewusst abzudrängen.
»Ich habe mich gegen deinen forschenden Blick gewehrt und dann hast du Druck ausgeübt!«, sagte Charlie schließlich.
Biarn nickte.
»Dein Wille ist sehr stark, Charlie. Du hast schnell gelernt, dich gegen das Eindringen in deine Gefühle zu wehren.«
»Das habe ich auch bei Oden getan!«, platzte Charlie hinaus.
»Tatsächlich?« Biarn runzelte die Stirn. »Er muss deine Gegenkräfte doch gespürt haben …«
»Was?«, fragte Charlie.
»Ich frage mich nur, weshalb er dir deine Geschichte abgenommen hat, wenn er gespürt hat, dass du ihn blockierst …«
Biarn schüttelte langsam seinen Kopf.
»Das ergibt keinen Sinn … Vater hat mir von den Geschehnissen in der großen Halle erzählt. Wie kann es sein, dass Oden einerseits versucht, deine Gefühle zu lesen, aber andererseits nicht erkennt, dass du sie mit kräftiger, intuitiver Magie abschirmst?«
»Du meinst, da Oden ein Raidho ist und emphatische Fähigkeiten besitzt, müsste er spüren, wenn ich mich wehre?«, fragte Charlie.
»Ganz genau …«, antwortete Biarn.
»Was uns wieder zu der Frage führt, ob er auch wirklich ein Raidho ist!«, sagte Charlie.
»Ich wüsste nicht, woher er sonst die Kräfte eines Emphaten zieht. Man benötigt meines Wissens die Macht der vier Elemente Ken, Bjarka, Ass und Lagu dafür. Also muss er ein Raidho sein.«
»Vielleicht holt er sich seine Kräfte irgendwo anders her? Kann doch sein, oder?« Biarn schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ich wüsste wirklich nicht wie …«
»Na, er hat ja lange genug Zeit gehabt, so etwas herauszubekommen!«, sagte Charlie nachdrücklich. »Fast 15.000 Jahren! Wer weiß, auf welche Umwege und Möglichkeiten er in all den Jahren gestoßen ist. Vielleicht hat er eine ganz andere Quelle für seine Kräfte?«
Biarn saß plötzlich kerzengerade auf Skinfaxe und starrte ins Leere.
»Andere Quellen, die seine Kräfte speisen …«, murmelte er abwesend vor sich hin.
»Was ist?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich weiß nicht …«, begann er. »Alle Magie wird aus den vier Elementen geschöpft. Es war schon immer so. Allerdings ziehen die Schwarzelfen ihre Magie aus den Tiefen des Universums – etwas, das uns Menschen niemals gelang.«
Charlie schaute ungläubig.
»Du meinst doch nicht, dass Oden …«
Biarn schüttelte den Kopf.
»Nein, das glaube ich nicht. Mit solchen Kräften würde er unweigerlich prahlen. Oden kann nichts, das nicht auch ein Raidho beherrscht. Was ich damit sagen will ist, dass du vielleicht trotzdem recht hast. Womöglich ist er gar kein Magier der vier Elemente. Die einzige Kraft, die wirklich stark in ihm ist, ist die Ass-Macht. Das Element Luft beherrscht er wie kein anderer. Da er auch Dinge der drei anderen Elemente beeinflussen kann, geht jedermann davon aus, dass Oden ein Raidho ist.«
Biarn sprach schnell und Charlie bemerkte seine Erregung.
»Was, wenn er seine Kräfte bezüglich der anderen Elemente ganz woanders herbekommt? Er hatte, wie du treffend bemerkt hast, viel Zeit. Sehr viel Zeit!«
»Vielleicht ist es das, was er in Mimers Brunnen erfahren hat!«, sagte Charlie in einer Eingebung. Biarn hielt abrupt an.
»Das ist es …«, hauchte Biarn. »Das muss es sein!« Seine Stimme klang rau vor Erregung. »Es würde vieles erklären! Sehr vieles! Ich muss herausfinden, woher Oden seine zusätzlichen Kräfte bezieht. Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben …«, sagte Biarn mehr zu sich selbst. »Das ist unglaublich! Deine offene Art zu denken, bringt uns neue, nie dagewesene Sichtweisen! Ein Magier dieser Welt wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass Menschen anderweitig Kräfte beziehen
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