Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Energie sofort. Sie war nicht sehr stark, vermutlich, weil die Blüten nicht frisch waren. Ihr wurde heiß und kalt vor Aufregung.
Sie hörte nur mit halbem Ohr zu, als Sigrid erklärte:
»Wir gießen sie als Tee auf und lassen sie sehr lange ziehen. Das erkaltete Getränk wird dann verabreicht.«
Um sicherzugehen, berührte Charlie die Blüten noch einmal.
Ja, es war eindeutig.
Die Gudalokiblüten hatten heilende Wirkung. Aber nicht im herkömmlichen Sinne, denn eine Heilkräuterenergie war nicht zu spüren. Es handelte sich ganz eindeutig um eine weitere Gefühlsmedizin! Die frischen Blüten mussten ein Sonnenbad nehmen, und dann würden sie vermutlich tatsächlich gegen die Symptome der Mara helfen.
Aber würden sie die Mara auch vertreiben?
Konnte nicht nur ein Raidho den Bann aufheben? Und außerdem waren diese Blüten hier getrocknet. Ihre Wirkung war stark eingeschränkt, wenn überhaupt noch vorhanden.
»Der Gudalokibaum blüht jetzt bestimmt nicht mehr, oder?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Er blüht im Frühjahr«, antwortete Sigrid.
»Natürlich …«, murmelte Charlie.
Sie nickte fast unmerklich Tora zu, die große Augen bekam. Dann wendete sich Charlie wieder Sigrid zu.
»Ich … ich würde gerne etwas ausprobieren. Dafür muss ich allerdings diese Blüten verwenden ... Sie wären danach aber vermutlich unbrauchbar«, sagte sie.
Sigrid nickte ergeben.
»Sigrid, bist du dir sicher?«, fragte Toroi eindringlich.
»Die Blüten haben meiner Fina bisher auch nicht geholfen. Kein bisschen. Wenn auch nur eine geringe Chance besteht, dass dieser Junge etwas erreichen kann, dann will ich sie ergreifen. Du kannst die Blüten haben«, sagte sie zu Charlie. »Mach damit, was du für richtig hältst.«
»Ich kann nichts versprechen«, sagte Charlie noch einmal.
»Nimm sie. Ich will es so.« Sigrid schloss müde die Augen. »Ich möchte euch jetzt bitten, zu gehen.«
Auf dem Rückweg sprach Toroi kein Wort.
Charlie gefiel es gar nicht, ihrer Gastgeberin Kummer zu bereiten. Sie waren so großmütig aufgenommen worden.
»Was hat sie denn bloß?«, fragte Tora leicht verärgert, als sie alleine waren.
»Angst, nehme ich an«, antwortete Charlie. »Und außerdem glaubt sie nicht, dass wir Fina helfen können. Ich glaube es ja auch kaum. Die getrockneten Blaukrautblüten hatten bei dir keine Wirkung. Das Wasser nahm die Schwingung der Blüten nicht auf, falls du dich erinnerst. Außerdem ist sie vermutlich dagegen, Sigrid falsche Hoffnungen zu machen – was ich gut verstehen kann – und sie war nicht sehr begeistert davon, dass ich ihre eingelegten Spinnenbeine als unbrauchbar bezeichnet habe. Alles zusammengenommen reicht aus, um auch eine herzensgute Frau wie Toroi missgelaunt zu stimmen«, fasste Charlie trocken zusammen.
Tora knurrte:
»Spätestens im Frühjahr werden sie ja sehen, dass du recht hattest.«
Charlie hoffte, dass sie Fina nicht ihrem Schicksal überlassen mussten.
Es war bereits später Nachmittag, bald würde die Dämmerung einsetzen. Die Blüten brauchten Sonne, um ihre Energie an das Wasser abzugeben, also konnten Tora und Charlie nicht viel unternehmen. Sie besuchten Kunar, der immer noch sehr schwach war und Brühe löffelte, die Toroi ihm gebracht hatte. Tora bedankte sich herzlich, doch Toroi blieb zurückhaltend.
Abends konnten sie hören, wie sich Toroi mit ihrem Mann Oski stritt. Charlie hoffte inständig, dass Oski sie nicht hinauswerfen würde. Sie wusste nicht, was sie dann mit Kunar machen sollten.
Früh am nächsten Morgen besorgte Tora eine Schüssel und Charlie ließ die duftenden Gudalokiblüten darin baden. Sie stellten die Schüssel in die Novembersonne und betrachteten ihr Werk. Würden die getrockneten Blüten ihre wenige Energie abgeben? Das Blaukraut hatte lediglich im frischen Zustand Kraft verströmt.
War die Energie dieser Blüten kräftiger?
Sie konnten nur abwarten und hoffen.
Es wurde ein langer Tag. Toroi ging ihnen aus dem Weg, und auch Oski schien sie zu schneiden.
Kunar wirkte ein wenig deprimiert. Obwohl Tora ihm nichts von der plötzlichen Angst und dem Misstrauen ihnen gegenüber erzählt hatte, schien er die Spannungen doch zu spüren. Die getrübte Stimmung erinnerte ihn offensichtlich an all seine Schwächen.
Tora begann an der Wirkung des Blütenwassers, das sie ihm heimlich verabreicht hatte, zu zweifeln. Charlie war da anderer Meinung. Es hatte eindeutig gewirkt. Nun musste Kunars neugewonnenes
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