Die Erben der Nacht 04 Dracas
Runde zu gehören schien.
»Dann teilen Sie gar die Leidenschaft unseres Freundes Ármin, der sich mit seltsamen Wesen beschäftigt, die nachts aus ihren Gräbern steigen und Menschen ihres Blutes berauben sollen?«
Van Helsing nickte wieder. »Ja, Vampire sind ein faszinierendes Thema.«
Die Baronin schüttelte sich. »Ich weiß nicht. Blutsauger beim Abendessen? Ich glaube nicht, dass dies ein geeigneteres Thema ist als die schlüpfrigen Wiener Klatschgeschichten, von denen die meisten zumindest einen Kern Wahrheit enthalten.«
Van Helsing fixierte die Gastgeberin in seiner gewohnt eindringlichen Art, aber die Baronin schien sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Gelassen erwiderte sie seinen Blick.
»Sie glauben, an den Vampirgeschichten ist nichts Wahres dran?«
Baronin von Schey lächelte. »Professor, ich bitte Sie, wer soll diese Schauergeschichten schon ernst nehmen? Leichen, die nicht verwesen und sich aus ihren Gräbern erheben. Untote, die Menschen anfallen und ihnen in den Hals beißen! Wir leben im aufgeklärten neunzehnten Jahrhundert. Die Wissenschaft hat die unheimliche Natur entzaubert und ihrer Geheimnisse beraubt. Für die Dämonen und Geister des Mittelalters ist in unserer Welt kein Platz mehr.«
»Dann glauben Sie also, diese Berichte sind alle nur Märchen?«, erkundigte sich Latona.
»Das ungebildete Volk auf dem Land ist abergläubisch und anfällig für so etwas«, mischte sich Friedrich von Schey ein.
»Es soll aber selbst in Wien Vampire gegeben haben.«
Latona ließ nicht locker. Sie sah, wie verzückt Clara dem Gespräch lauschte. Das war ganz nach ihrem Geschmack.
»Marla hat mir gar erzählt, hier in Wien habe es den Ersten aller Vampire gegeben und es soll niemand geringerer als Johann von Habsburg gewesen sein, der nach dem Mord an seinem Onkel Herzog Albrecht vom Teufel gebissen und zum Vampir gewandelt wurde.«
Die Baronin stöhnte. »Ich sollte Marla entlassen, wenn sie noch einmal solchen Unsinn verbreitet. Den Mord gab es tatsächlich und die Blutrache der Familie, aber alles andere ist Unsinn. Ein Fürst, der zum Vampir wird! Nein, so etwas.« Sie stutzte. »Professor, warum sehen Sie mich so an. Glauben Sie etwa an diese Geschichten?«
»Nicht daran, dass Johann von Habsburg der erste Vampir war, nein, das nicht. Ich denke, vor allem in Irland gab es diese nächtlichen Wesen schon lange vor unserer Zeitrechnung. Und auch durch die Wälder Europas streifte manch wilde, blutdurstige Bestie.«
Ármin Vámbéry nickte. »So weit stimme ich mit Ihnen überein. Und es gibt sie noch immer, die stumpfsinnigen, grausamen Kreaturen, die man in serbischen Dörfern und in Siebenbürgen jagt und schließlich in ihren Gräbern mit Pflock und Feuer vernichtet. Ich bin selbst bei einer dieser Jagden dabei gewesen. Die meisten Vampire jedoch, mit denen wir es heutzutage zu tun haben, stammen tatsächlich von einem Fürsten ab. Allerdings übte er seine Herrschaft nicht in Wien aus.«
»Sie sprechen von dem Woiwoden der Walachei, Vlad III., Sohn des Vlad Dracul, Mitglied des Drachenordens und daher auch Drăculea, Sohn des Drachen genannt«, warf Van Helsing ein. »Wobei Drac auch das rumänische Wort für Teufel ist.«
Der ungarische Professor nickte. »Ich sehe, Sie kennen sich aus. Ja, Drăculea. Sein anderer Beiname war ţepeş.«
»Der Pfähler«, übersetzte Van Helsing.
»Ich will gar nicht so genau wissen, weshalb sie ihn so nannten«, murmelte Philipp. Clara und Latona dagegen brannten drauf, die Geschichte weiter zu hören, und zu Latonas Überraschung legte die Baronin kein Veto ein, obgleich dieses Thema sich in ihren Augen sicher ebensowenig für eine Unterhaltung bei Tisch eignete.
»Ja, der Pfähler«, fuhr Ármin Vámbéry fort. »Dies war seine bevorzugte Art, Verbrecher aller Art und politische Gegner hinrichten zu lassen. Und davon gab es viele! Nein, man muss es ein wenig anders formulieren. Auf diese Weise verteidigte er seinen Thron, den er sich mühsam erkämpft hatte, und sicherte seine Macht. Gefolgschaft und Treue waren auf Furcht aufgebaut. Sie schaudern, Fräulein Clara? Ja, er war ein grausamer Fürst, doch er lebte auch in einer grausamen Zeit, in der andere kaum zimperlicher verfuhren. Ausgefeilte Foltermethoden konnte Vlad schon in seiner frühen Jugend während einer Geiselhaft im Palast des türkischen Sultans studieren. Und glauben Sie mir, auch die Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reichs waren um Grausamkeiten nicht
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