Die Erben der Nacht 04 Dracas
etwas zustößt! Wir haben am Genfer See mit allen Clans einen Eid geschworen, der uns bindet. Es wird auch uns Dracas schaden, wenn die Lycana eine Fehde gegen uns ausrufen. Dann zerbricht das Bündnis und alles wird wie früher. Dann hätten wir gleich auf die Akademie verzichten können. Oder glaubst du, dein Clan würde es einfach so hinnehmen, wenn dir durch unsere Schuld etwas zustieße?«
Ivy schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das wohl nicht.« Sie war sich nicht sicher, was sie von der Rede der Baronesse halten sollte.
Ich traue ihr nicht über den Weg, meinte Seymour.
Ich vertraue ihr auch nicht, aber wir haben kaum eine Wahl. Vielleicht sollten wir uns wenigstens anhören, was sie zu sagen hat.
Laut fragte Ivy: »Und wie lautet Euer Plan?«
»Ich rufe nun einen Fiaker und wir fahren gemeinsam zur Hofburg hinüber. Dort gibt es ein Versteck, das für einen Vampir genauso sicher ist wie das Palais Coburg. Wir haben diesen Unterschlupf vor langer Zeit eingerichtet und mit einem magischen Schutz versehen, der jeden Fremden abweist. Die Gewölbe gehören noch zu den alten Befestigungsanlagen und blieben zumindest teilweise erhalten, als die Mauern geschleift wurden. Nun bauen sie darüber die neue Hof burg, doch noch sind die Kellergewölbe intakt. Dort kannst du bleiben, bis du von deinem Clan abgeholt wirst. Ich werde Donnchadh eine Nachricht senden. Er hat mir zu diesem Zweck einen seiner fliegenden Boten dagelassen.«
Ivy sah sie forschend an. Was meinst du? Sollen wir es versuchen?
Sie verbirgt etwas vor uns. Dies ist nicht die ganze Wahrheit.
Ja, aber als sie sagte, sie wolle verhindern, dass mir etwas passiert, klang dies ehrlich. Ich konnte nichts Falsches in ihrem Ton oder Blick erkennen.
Aber jetzt sieht sie dich so abschätzend an, dass ich sie am liebsten packen und so lange schütteln würde, bis sie mit der ganzen Wahrheit herausrückt.
Ivy hob die Schultern. Ich muss es riskieren. Wir werden wachsam sein, doch müssen wir das nicht sowieso? Außerdem werde ich mir einen eigenen Boten suchen und ihn an Tara senden. Drüben bei der Peterskirche lebt eine Fledermauskolonie. Vielleicht können sie uns behilflich sein.
»Nun?«, drängte die Baronesse ungeduldig.
Ivy nickte. »Ruft die Kutsche, und dann lasst uns fahren.«
Nein, der Ausdruck, der für einen Wimpernschlag über das Antlitz der Baronesse huschte, gefiel Ivy nicht. Aber nun hatte sie sich entschieden. Die Kutsche kam verdächtig schnell um die Ecke, als habe sie dort bereits gewartet. Baronesse Antonia drängte Ivy hinein und stieg dann selbst ein, achtete aber darauf, Seymours drohend
gefletschten Zähnen nicht zu nahe zu kommen. Der Fiaker fuhr los, ohne dass die Baronesse ihm ein Ziel genannt hatte. Was war das für ein abgekartetes Spiel? Ivys Magen krampfte sich zusammen. Worauf hatte sie sich eingelassen?
DAS RINGSTRASSENTHEATER
Bram klopfte an Latonas Zimmertür. »Wie weit bist du? Die Scheys sitzen bereits in der Kutsche.«
»Ich bin gleich fertig. Wirklich. Marla muss nur mein Haar noch einmal aufstecken.«
Entsprechend seiner Erfahrung mit Frauen und dem Wörtchen »gleich« entschied Bram: »Gut, dann sage ich der Baronin, sie sollen schon einmal vorfahren. Wir kommen dann mit einem eigenen Fiaker nach.«
Die Kutsche der Scheys war gerade um die Mauer des Hof burggartens in die Ringstraße eingebogen, als sich zu Brams Erstaunen die Zimmertür öffnete und Latona strahlend auf ihn zutrat.
»Wir können fahren!«
Während Professor van Helsing sich auf die bevorstehende Abreise nach Ungarn vorbereitete und kein Interesse an einem Theaterbesuch bekundete, hatte sich Ármin Vámbéry entschlossen, der Baronin den Gefallen zu erweisen, den letzten Abend in ihrer Gesellschaft zu verbringen. Zusammen mit Bram hatte er auf Latona gewartet und stieg nun zu ihnen in den rasch herbeigerufenen Fiaker. Sie bogen in den Burgring ein. Links von ihnen tauchten die beiden Hofmuseen auf, deren Fertigstellung unmittelbar bevorstand. Rechts erhob sich im Hintergrund die Hof burg und davor die riesige Baustelle des neuen Hof burgflügels, der später einmal an den Kaisergarten grenzen sollte, bisher aber noch nicht über seine Fundamente hinausgewachsen war.
»Ich finde es bemerkenswert, dass der Kaiser ausgerechnet Gottfried
Semper als Architekt für seinen neuen Palast beauftragt hat«, meinte Bram. »Nicht dass ich ihn nicht für einen außerordentlichen Künstler auf seinem Gebiet halte. Ich habe die Oper in Dresden
Weitere Kostenlose Bücher