Die Erben der Nacht 04 Dracas
»Du meinst, das hier kannst du kurz klären? Wenn du dich da nur nicht irrst. Soll ich nicht doch lieber bleiben?«
»Was könntest du gegen euren Baron ausrichten?«, gab Ivy zurück.
»Zur Not mit dem Degen gegen ihn angehen«, behauptete Franz Leopold mit einem betont heiteren Lächeln. »Ich fechte besser als er.«
»Ob das so eine gute Idee wäre, mich von meinen Problemen zu befreien? Das hört sich für mich eher so an, als brächte es uns wirklich in Schwierigkeiten!«
»Kommst du jetzt, Leo?«, drängte Luciano.
Franz Leopold legte Ivy seine Hand auf die ihre und sah sie ernst an. »Pass auf dich auf!«
Sie nickte. »Ich bin ja nicht alleine. Seymour ist bei mir.«
Der Dracas erwiderte nichts darauf. Er stieg in die Kutsche, schloss den Schlag und schon ratterten die Räder die Gasse hinunter.
Ivy wartete, bis die Freunde verschwunden waren, dann reckte sie das Kinn und schritt mit hoheitsvoller Miene auf den Baron zu, dessen Augen rot funkelten vor Zorn. Ein paar der anderen Erben und der Dracas warfen ihm neugierige Blicke zu, keiner wagte jedoch zu fragen, was das zu bedeuten hatte. Ivy hätte es ihnen sagen können. Ihr war vollkommen klar, was geschehen war. Dazu
musste sie nicht einmal Marie Luise zu Gesicht bekommen, die vor Schadenfreude geradezu sprühte. Aber natürlich sagte die Lycana keinen Ton und so mussten die anderen ihre unbefriedigte Neugier mit sich nehmen. Sie stiegen in die wartenden Kutschen, die eine nach der anderen davonfuhren.
Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte Ivy über den Umschwung von Marie Luises Miene in Enttäuschung schmunzeln mögen, als diese begriff, dass sie nicht Zeuge der Szene werden würde, die sie mit ihrer sorgfältig geplanten Intrige herauf beschworen hatte. Ihre Cousine Anna Christina schob sie in eine der Kutschen und schloss den Schlag. Der Wagen fuhr ab. Nun waren die Einganshalle und die Kutschenumfahrt leer. Nur der Baron stand noch auf der untersten Stufe, sein schweigender Schatten ein paar Schritte hinter ihm.
Seymour eilte an Ivys Seite. Es war ein beruhigendes Gefühl, auch wenn er ihr nicht helfen konnte.
»Folge mir!«, herrschte der Baron die Lycana an und führte sie in einen kleinen Salon im Südwestflügel der Beletage, den sie bislang nicht betreten hatte. Zwei Türen weiter war das Gemach der Baronesse, in dem sie Marie Luise bei ihrem Gespräch mit der Clanführerin belauscht hatte. So sehr sich Ivy über die Reaktion Baronesse Antonias gewundert hatte, lange hatte sie ihre schützende Hand offenbar nicht über sie gehalten.
Der Baron nahm in einem Sessel hinter seinem Sekretär Platz. Sein Schatten stellte sich hinter ihn. Die Hände vor dem Leib verschränkt, starrte er Ivy finster an. Er holte gerade Luft, um seinen Zorn herauszulassen, als die Baronesse ohne anzuklopfen ins Zimmer trat. Ihr Kommen hinderte ihren Bruder leider nicht daran, das loszuwerden, was ihn fast platzen ließ.
»Was für ein Betrug! Was für ein unglaublicher Verrat!«, schrie er in höchster Wut. »Eine Unreine, die sich erdreistet, sich in die Akademie unserer Erben reinen Blutes einzuschleichen. Es ist ein so unerhörter Skandal, dass mir die Worte fehlen, die dafür angemessen wären.«
Dafür fand er dann doch ganz schön viele Worte. Ivy stand schweigend da, den Blick leicht gesenkt, und ließ die Schimpftirade
über sich ergehen. Es wäre sicher nicht klug gewesen, ihn zu unterbrechen. Er war sich seiner Sache sicher. Zumindest fragte er Ivy nicht, ob die Anschuldigung der Wahrheit entsprach.
Als er sich genug über Ivy aufgeregt hatte, ging er auf die anderen Lycana über, die sich des Verrats und der Täuschung aller Clans schuldig gemacht hatten. Auch dagegen konnte sie nichts sagen. Sowohl Tara als auch ihre Clanführerin Catriona hatten es gewusst und Ivy zusammen mit Mervyn, dem einzigen echten Erben der Lycana, zur Akademie geschickt.
So ging es noch einige Minuten weiter. Auch die Baronesse schwieg und ließ ihn sich austoben. Endlich fiel ihm nichts mehr ein. Er starrte sie nur hasserfüllt an. Ivy schwieg noch immer. Er würde es ihr schon mitteilen, wenn er einen Kommentar von ihr wünschte.
»Was soll ich jetzt mit dir machen?«, knurrte er nach einer Weile. »Mir fällt keine Strafe ein, die dafür angemessen wäre. Ich sollte dich draußen auf der Veranda an eine der Säulen fesseln, wo dich die Strahlen der Sonne elendig verbrennen. Oder ich gebe jedem meiner Dracas einen silbernen Pfeil in die Hand, den sie
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