Die Erben der Nacht 04 Dracas
nickte. »Gut, dann werden wir versuchen, etwas
über Ivys Verbleib herauszufinden und was er mit seinem Gerede über Dracula gemeint hat.«
Luciano machte ein ernstes Gesicht. »Hoffentlich ist ihr nicht wirklich etwas zugestoßen und er hat sich da nur was zusammenfantasiert.«
»Ach, und warum ist er dann wie ein Verrückter in ein brennendes Theater gestürzt?«, widersprach Franz Leopold.
Beide schwiegen bedrückt. »Wir treffen uns am Rabensteig!«, rief Alisa, als der Schlag zufiel und die Pferde anzogen. Dann entschwanden Luciano und Franz Leopold ihren Blicken.
Das Feuer schien nun so weit unter Kontrolle, dass sich die ersten Feuerwehrleute in das Gebäude wagten. Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge, als die Männer zurückkehrten, jeder einen leblosen Körper in den Armen.
»Gibt es noch mehr Opfer?«, drängte der Hauptmann.
Die Männer mit ihren verrußten Gesichtern nickten. »Ja, wir sind nicht weit gekommen, doch so wie es aussieht, müssen wir uns auf eine ganze Anzahl von Opfern gefasst machen.«
Sie brachten die Toten zur Polizeidirektion am Hof. Unablässig ratterten die Karren hin und her. Es wurden immer mehr. Um neun Uhr zählten die Ärzte bereits siebzig Tote. Manche von ihnen waren verbrannt, andere zeigten keine äußerlichen Verletzungen. Sie waren im Rauch erstickt.
Es waren schwere Stunden für viele Angehörige, die sich zum Hof drängten und bang die Reihen der Toten abschritten. Wie viele Tränen, wie viel Verzweiflung, wenn sie ihre Lieben unter den Opfern erkannten. Es war ein Tag, der als einer der schlimmsten in die Geschichte Wiens eingehen sollte und den die Wiener nie mehr vergessen würden.
Das Spital war einfach riesig! Alisa zählte mindestens sechs Höfe, um die sich die Gebäudeflügel in verschieden großen Rechtecken zusammenschlossen. Der als Reformkaiser in die Geschichte eingegangene
Sohn Maria Theresias, Kaiser Josef II., hatte das Spital ins Leben gerufen. Eine damals revolutionär moderne Einrichtung, in der sogar jedem Patienten ein eigenes Bett zur Verfügung stand! Ganz im Norden erhob sich ein gedrungener Turm, den die Wiener Narrenturm oder respektlos Gugelhupf nannten. In den Zellen dort waren bis vor wenigen Jahren die Geisteskranken eingesperrt und - was ebenfalls etwas völlig Neues war - von Ärzten behandelt worden.
Man brachte Seymour in einen Krankensaal mit zwei Dutzend Betten, wo er in ein Nachthemd gesteckt und seine Beinwunde von einer Krankenschwester notdürftig verbunden wurde. Sie entschuldigte sich bei Alisa, dass die Ärzte im Augenblick alle Hände voll zu tun hätten.
»Es sind so viele Verletzte. Der Strom der vorfahrenden Kutschen, die immer mehr Patienten einliefern, reißt nicht ab. Sobald einer der Operationstische frei ist, werden wir ihn holen - wie war noch gleich sein Name?
»Seymour. Er stammt aus Irland und spricht kein Deutsch.« Mehr sagte sie besser nicht.
»Und Sie, Fräulein? Sind Sie eine Verwandte?«, fragte die Schwester mit zweifelndem Blick, der von den verkohlten Kleidern auf dem Boden, die Seymour getragen hatte, zu Alisas feiner Theatergarderobe wanderte, die allerdings ebenfalls beträchtlich gelitten hatte.
Alisa schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe Seymour nur ins Spital begleitet.«
Der Schwester blieb keine Zeit zum Plaudern. Sie entschuldigte sich und versicherte noch einmal, dass sich bald ein Arzt des neuen Patienten annehmen würde. Dann eilte sie davon, um einen weiteren Verletzten in Empfang zu nehmen und zu entscheiden, wie dringend er behandelt werden musste.
Alisa saß an Seymours Bett, hielt seine Hand und überlegte, was sie nun tun sollte. Ihn einfach hier in der Obhut des Spitals lassen und zum Haus am Rabensteig zurückkehren? Vielleicht hatten Leo und Luciano bereits etwas über Ivys Verbleib herausgefunden - und über diesen Dracula, den der Werwolf erwähnt hatte. Da
schlug Seymour die Augen auf. Ein kurzer Blick nach beiden Seiten machte ihm klar, wo er sich befand.
»Ich bin also doch noch einmal davongekommen«, sagte er mit heiserer Stimme. Alisa wusste nicht, ob er immer so sprach oder ob der heiße Rauch ihm die Kehle verbrannt hatte. Es war ein seltsames Gefühl, Ivys Bruder, den sie sonst nur als Wolf kannte, hier in der Gestalt eines Mannes im Bett liegen zu sehen.
»Wie gut, dass du wieder bei Bewusstsein bist«, begrüßte ihn Alisa. »Bislang hat sich noch keiner der Ärzte blicken lassen.«
Er lachte rau. »Wir Werwölfe sind von robuster Natur. Das
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