Die Erben der Nacht 04 Dracas
salutierte.
»Wie ist die Lage?«, rief der Erzherzog.
Der Offizier warf einen kurzen Blick zu den eingeschlagenen Türen, aus denen inzwischen niemand mehr herauskam. Noch einmal salutierte er.
»Alles gerettet, Kaiserliche Hoheit!«, hörte Latona ihn sagen, dann brach der Karren in Richtung Spital auf.
SPURENSUCHE
Was war das? Alisa blieb ein wenig zurück.
Nun komm schon, drängte Luciano. Wir sind als Fledermäuse gegen das Feuer nicht gefeit, auch wenn wir zum Glück selbst in dieser Form nicht atmen müssen.
Mir war, als hätte ich Seymour gesehen, beharrte Alisa.
Blödsinn! Wo sollte der denn jetzt herkommen?, widersprach Luciano.
Von dort, wo Ivy gerade ist?, schlug Franz Leopold vor.
Die anderen waren noch dabei, den Schrecken zu verdauen, als der Dracas schon eine enge Schleife flog und in das Flammeninferno zurückschoss. Alisa und Luciano folgten ihm. Im dichten Rauch konnten sie nichts sehen, doch das Echosystem der Fledermäuse leitete sie. Sie durchquerten das Foyer und wollten gerade zu der Loge zurückkehren, als sie einen Körper orten konnten.
Seymour! , sandte Alisa. Hier ist er.
In seiner menschlichen Gestalt!, stellte Franz Leopold fest.
Warum das denn?, wunderte sich Luciano, gab sich aber sogleich selbst die Antwort: Er muss uns vom Parkett aus hier herauf gefolgt sein.
Und als Wolf kann er nicht klettern, ergänzte Alisa.
Sie flatterten um ihn herum. Er hob nur träge den Kopf, schien die Fledermäuse aber nicht wahrzunehmen. Alisa versuchte, mit seinem Geist Kontakt aufzunehmen.
Leo, komm schon, hilf mir. Er ist kaum mehr bei Sinnen. Er muss zum Balkon hinüber, wenn er hier nicht elendig sterben soll.
Stürmisch bedrängten sie seinen Geist.
Alisa? Leo? Ihr seid noch hier? Verschwindet und bringt euch in Sicherheit. Meine Zeit ist abgelaufen. Aber ihr müsst leben. Rettet Ivy! Dracula hat sie in seiner Gewalt. Und sagt ihr, dass ich sie liebe.
Jetzt retten wir erst einmal dich!, beharrte Alisa.
Und wie sollen wir das anstellen? Als Fledermäuse können wir nichts ausrichten, wandte Luciano ein.
»Du hast recht«, stimmte ihm Alisa zu und verwandelte sich so schnell wie noch nie zurück. Die beiden Vampire folgten ihrem Beispiel. Sie trugen Seymour um die Trümmer herum durch das Foyer auf den nun menschenleeren Balkon hinaus. Seymours Kopf fiel leblos von einer Seite zur anderen. Seine Augen waren geschlossen. Ob er überhaupt noch atmete? Damit konnten sie sich später befassen. Jetzt mussten sie erst einmal dort hinunter. Alisa beugte sich vor. Das Sprungtuch war bereits wieder beiseitegelegt worden.
Einige Feuerwehrleute wagten es nun, durch das Hauptportal ins Theater vorzudringen. Alle Aufmerksamkeit war auf das Portal gerichtet. Niemand sah mehr zum Balkon hinauf.
»Also los!«
Franz Leopold und Alisa zogen Seymours Arme über ihre Schultern, Luciano umfasste seinen Leib. Gemeinsam hoben sie ihn über die Brüstung und sprangen hinunter auf die Straße. Es gelang ihnen, so zu landen, dass ihre Füße zuerst auf dem steinernen Boden auftrafen und die Gewalt des Falls bremsten. So bewahrten sie ihn wenigstens vor weiterem Schaden, wobei das, was der brennende Balken angerichtet hatte, bereits schlimm genug war.
Die drei sahen einander unschlüssig an. Was sollten sie nun mit ihm machen? Seymour hing noch immer bewusstlos in ihren Armen.
»Er ist kein Vampir, dessen Brandwunden so einfach in ein paar Tagen heilen«, sagte Luciano. »Ich habe keine Ahnung, was Menschen in so einem Fall tun.«
»Die Verletzten in ein Spital bringen«, meinte Franz Leopold. »Aber was macht man mit einem Werwolf?«
»Wir könnten ihn zum Haus am Rabensteig bringen«, schlug Alisa vor. »Vielleicht weiß Hindrik Rat.«
Da trat einer der Feuerwehrleute zu ihnen und ließ seinen Blick über Seymour gleiten. »Er muss sofort ins Spital! Das sieht nicht gut aus.«
Ehe die Vampire reagieren konnten, winkte er einen Wagen herbei. Kräftige Arme griffen nach dem Körper in seinen verkohlten Lumpen und hoben ihn in die Kutsche. Vielleicht hielten sie die hagere Gestalt mit dem verfilzten Haar für einen der Bühnenarbeiter.
»Was machen wir jetzt?«, wisperte Luciano entsetzt.
Alisa hob die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht ist es das Beste für ihn. Solange er in seiner menschlichen Gestalt steckt, können ihn die Ärzte wie einen Menschen behandeln. Ich werde mit ihm fahren und sehen, wohin sie ihn bringen.« Entschlossen stieg Alisa zu ihm in die Kutsche.
Franz Leopold
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