Die Erben der Nacht 04 Dracas
Fledermäuse.«
Alisa sah hinunter zum Dorf, wo sich einige Türen öffneten. Alte Frauen in langen, dunklen Kleidern, das graue Haar unter einem Kopftuch verborgen, und Männer mit gebeugtem Rücken hinkten den Weg zum Burgtor hinauf. Ein paar jüngere Leute folgten ihnen, eine Handvoll Kinder mit ernsten Gesichtern an der Hand.
»Schau, die Dorf bewohner kommen zu einem abendlichen Gottesdienst zusammen«, sagte Alisa. »Dort drüben ist der Alte, der mit uns gesprochen hat, und jetzt tritt der Pfarrer in den Hof.«
»Dann wird es wohl Zeit, dass wir uns davonmachen«, erklang Lucianos Stimme über das Dröhnen der Glocken hinweg.
Alisa nickte. »Ja, ich denke, wir sollten uns besser nicht sehen lassen. Nicht alle sehen so schlecht wie der Alte in der Kirche gestern Abend. Die Leute würden erschrecken.«
Franz Leopold grinste. »Wäre das nicht den Spaß wert?«
Alisa sah ihn strafend an. »Wir sind hier nicht zum Spaß!«
Der Dracas verdrehte die Augen. »Danke, dass du mich daran erinnert hast. Ich hätte es sonst bestimmt vergessen.«
Luciano stieß die beiden in den Rücken. »Hört mit eurem Gezänk auf. Ich würde vorschlagen, wir wandeln uns zuerst in Fledermäuse und folgen so der Straße, die der Alte uns beschrieben hat, bis zum Fuß der Berge. Wenn es zu kalt und windig wird oder es zu schneien beginnt, wechseln wir unsere Gestalt und überwinden die Berge als Wölfe.«
Alisa nickte. »Das ist ein guter Vorschlag, findest du nicht auch? Warum ziehst du so eine Grimasse, Leo?«
»Ich kann mich einfach noch nicht daran gewöhnen, dass aus unserem Nosferas so ein vernünftiger, klar denkender …«
Alisa stieß Franz Leopold an. »Ach, hör auf. Lasst uns aufbrechen, damit wir den Pass so schnell wie möglich hinter uns lassen.«
So wandelten sie sich noch einmal zu Fledermäusen, nahmen dankend vom großen Schwarm Abschied und flogen davon. Ein paar der Abendsegler begleiteten sie ein letztes Stück, bis sie den Olt überflogen und das Kloster Kerz, von dem der Alte gesprochen hatte. Von der gotischen Kirche war nur noch der Chor erhalten
und diente nun - mit einer nachträglich errichteten Westwand - der hiesigen Gemeinde als kleine Kirche. Es musste einst ein großartiger Bau gewesen sein. Aber nun lag der Rest der Klosteranlage in Ruinen. Traurig ragten die Ostmauer der Klausur, das zerstörte Langhaus und der Westgiebel auf, neben dem sich ein seltsamer runder Wachturm erhob, der irgendwann später angebaut worden sein musste. Im Innern der Kirchenmauern konnten die Vampire Gräber ausmachen.
Siehst du die Straße? Franz Leopold lenkte Alisas Aufmerksamkeit von der Klosterruine ab.
Ja, ein Stück weiter konnte sie deutlich eine Einmündung von Süden her auf die breite Straße am Ufer des Olt entlang erkennen, die Sibiu und Braşov verband. Ein Hauch von Schnee lag auf den Wiesen und der Landstraße unter ihnen und der Wind wurde bereits merklich kälter und frischte auf. Es wunderte die drei Vampire nicht, dass sich ihre Begleiter nun verabschiedeten und nach Hosman umkehrten. Jetzt waren sie also auf sich alleine gestellt.
Sie flogen ein Stück die immer steiler ansteigende Straße entlang, bis sie das letzte Dorf hinter sich ließen. Der Wind blies ihnen ins Gesicht und zerrte an ihren ledernen Schwingen. Es wurde immer schwieriger, Kurs zu halten und nicht von einer Böe aus der Bahn geschleudert zu werden. Alisa spürte, wie ihre Bewegungen träger wurden. Jeder Flügelschlag wurde zur Herausforderung. Dann fing es an zu schneien. Dicke Flocken wirbelten durch die Luft und umtanzten die drei Fledermäuse. An Fliegen war nicht mehr zu denken. Im Schutz eines Felsens landeten sie und wandelten sich zurück.
»Ich kann es ihnen nicht verdenken, dass sie den Pass nicht überfliegen wollen«, gab Alisa zu. »Vermutlich würden die Schwingen in der Luft zu Eis erstarren und sie kläglich zu Boden stürzen lassen.«
»Ja, hier kommen wir nur noch als Wölfe weiter«, gab Luciano zu und starrte missmutig in den immer dichter werdenden Schnee, der ihnen die Sicht nahm. »Aber selbst in dieser Gestalt wird es schwierig. Ich schätze, weiter oben ist die Straße völlig zugeschneit, sodass wir sie vermutlich nicht einmal mehr erkennen können.«
Alisa runzelte die Stirn. »Fürchtest du, wir könnten vom Weg abkommen und uns verirren?«
Franz Leopold wehrte ab. »Wozu müssen wir die Straße sehen? Glaubst du nicht, dass unsere Witterung fein genug ist, sie auch durch ein wenig Schnee
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