Die Erben der Nacht 04 Dracas
sein, ist keine verlockende.«
Der Professor schüttelte den Kopf. »Wir wären einfach nur tot. Soweit mir bekannt ist, können diese Geschöpfe keine Vampire erschaffen. Dies ist ein Privileg der Kinder Draculas, von denen ich keine unter ihnen ausmachen konnte. Sie unterscheiden sich deutlich von diesen üblen Gestalten.«
Sie drehten sich zur Tür um, in deren Öffnung sie noch immer huschende Schatten auszumachen glaubten.
»Sie sind noch da«, sagte Bram mit einem Seufzer.
Der Professor nickte. »Ja, und selbst wenn wir sie nicht mehr sehen könnten, würde ich diesen sicheren Zufluchtsort nicht verlassen wollen. Sie wissen, dass wir hier drin sind, und ich denke, sie sind nicht bereit, ihre Beute so einfach entkommen zu lassen.«
Bram erschrak. »Aber das bedeutet, wir werden die ganze Nacht hier zubringen müssen.« Der Professor nickte.
»Wir werden unseren Zug verpassen! Er fährt in nicht einmal zwei Stunden mit all unserem Gepäck weiter nach Kronstadt.«
Ármin Vámbéry hob die Schultern. »Ich weiß. Doch wie sollen wir das verhindern? Selbst wenn wir, ehe die Sonne aufgeht, da hinausgehen, wird unser Gepäck ohne uns in Kronstadt eintreffen. Nur brauchen wir es dann auch nicht mehr! Van Helsing wird sich schon darum kümmern und auf uns warten, bis wir nachkommen.«
»Wann wird das sein? Ich denke nicht, dass wir hier täglich mit Zügen rechnen können. Wir verlieren so viel Zeit!«, stöhnte Bram.
»Das ist leider nicht zu ändern. Kommen Sie, wir wollen uns für die Nacht in die Krypta zurückziehen.«
Die beiden Männer nahmen sich mit einer gemurmelten Entschuldigung die Kerzen vom Altar, stiegen die Treppe hinunter und folgten dem schmalen, gemauerten Gang in die Krypta. Zu beiden Seiten waren einzelne Ziegelsteine ausgespart. Der Professor leuchtete in eine der Lücken. Der Schein der Flamme zuckte in den rundum geschlossenen Kammern über ein Gewirr von Knochen und zerfallenen Särgen.
»Was für ein gemütliches Nachtlager!«
»Besser tote Knochen als untote Blutsauger«, widersprach Bram. Er ließ sich in der Krypta auf den Boden fallen, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Ármin Vámbéry gesellte sich zu ihm. Stille senkte sich herab und hüllte sie ein, wie die Kälte, die unangenehm durch ihre Kleider kroch und sie frösteln ließ. Dennoch fielen die Männer irgendwann in einen unruhigen Schlaf.
ÜBER DEN PASS
Ein schriller Pfiff, dann ruckten die Räder und der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Immer schneller rollte er aus dem Bahnhof an den letzten Häusern vorbei und ließ die Unterstadt in der Dunkelheit der Nacht hinter sich zurück.
»Wir haben gerade Schäßburg verlassen«, erläuterte Dracula ungewöhnlich leutselig seiner unfreiwilligen Mitreisenden. »Dort wurde ich geboren. Allerdings nicht in dem Haus gegenüber der Klosterkirche, von dem behauptet wird, es sei meine Geburtsstätte. Dabei wurde es erst Jahrzehnte später erbaut!«
Ivy hob trüb den Blick. Ab und zu gelang es ihr, einen klaren Gedanken zu fassen, doch ehe sie einen weiteren Versuch starten konnte, mit Seymour oder ihren Freunden Verbindung aufzunehmen, legte sich Draculas Geist wieder wie eine schwere Decke
über den ihren und ließ nicht den kleinsten Gedanken entwischen. So war es ebenfalls nahezu unmöglich, über Fluchtpläne nachzudenken. Vor allem ohne dass er davon etwas mitbekam. Und so ließ sich Ivy immer häufiger einfach treiben und gab sich diesem Zustand zwischen Traum und Wachen hin. Sie achtete nicht mehr auf die Orte, an denen sie hielten und deren Namen dumpf durch die Wände des Waggons drangen, wenn die Schaffner den neuen Halt verkündeten. Sie wusste nur, dass sie irgendwo durch Transsilvanien reisten und ihrem Ziel, das sie niemals erreichen wollte, immer näher kamen.
Die Nacht glitt dahin. Obgleich sich an ihrer Situation nichts verändert zu haben schien, fühlte sich Ivy, seit sie Schäßburg verlassen hatten, plötzlich elend, so als habe sie nun auch den letzten Freund verloren. Wie seltsam. Vielleicht lag es daran, dass sie nun ins Herz von Draculas Reich vorstießen, wo nichts und niemand seine Macht bezwingen konnte.
Reglos saß Ivy die ganze Nacht da, die Augen geschlossen, und dennoch sah sie ihn vor sich, wie er sie mit seinem begehrlichen Blick umfing. Erst als der Zug gegen Morgen langsamer wurde und - wie der Schaffner verkündete - Braşov erreichte, erhob sich der Meister und verließ die Kutsche. Sie hörte ihn mit seinem Kutscher
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