Die Erben der Nacht 04 Dracas
letzten Sterne blitzen von dort auf sie herab, während die Nacht verblasste. Verbissen hetzten die Wölfe noch schneller talabwärts, bis der Dracas sie zurückrief.
Wir schaffen es heute nicht mehr!
Es kann nicht mehr weit sein, gab Luciano zurück.
Und selbst wenn. Was willst du tun, wenn du die Burg erreichst und gerade die Sonne aufgeht? Wir bringen uns in eine denkbar schlechte Lage, wenn wir zu dieser Stunde dort einfallen, ohne zu wissen, was uns erwartet. Vielleicht verfügt Dracula über Wächter, denen Sonnenlicht nichts anhaben kann? Die dann nur zu warten brauchen, bis uns unsere Todesstarre niederzwingt, um uns endgültig zu vernichten. Wir sollten uns jetzt einen geschützten Ort suchen und erst, wenn die Sonne wieder untergegangen ist, die Lage in Ruhe auskundschaften.
Leos Vorschlag ist vernünftig, gab ihm Alisa widerstrebend recht.
Vernünftig, ja, knurrte Luciano. Mir ist im Moment aber nicht nach Vernunft.
Dann laufe in dein Verderben. Das wird nur niemandem nutzen. Am allerwenigsten Ivy, schimpfte der Dracas.
Also gut, dann lasst uns nach einem Versteck Ausschau halten.
Sie fanden eine Felsspalte, in die sie sich drängen konnten. Bequem war es nicht, aber das konnten sie sich im Moment nicht aussuchen. Wichtiger war, dass die Sonne sie nicht erreichen konnte und dass sie so weit von der Straße entfernt lag, dass kein Reisender zufällig darauf stoßen würde. Wobei es nicht wahrscheinlich war, dass an diesem Tag überhaupt ein Reisender vorbeikam. Wohin sollte er gehen? Bei diesem Wetter war der Pass unpassierbar und würde es noch über Wochen, wenn nicht Monate hinweg bleiben.
Die drei wandelten sich und quetschten sich in den Spalt. Alisa
kauerte halb ausgestreckt zwischen den beiden Vampiren. Es war ein seltsames Gefühl, so dicht an Franz Leopold gepresst den Tag zu verbringen. Alisa versuchte, nicht an das letzte Mal zu denken, als er ihr so nah gekommen war. Ihre Wut und der zügellose Kampf und dann der Kuss, zornig und leidenschaftlich. Endlich zwang die Sonne ihren Geist zum Stillstand.
POIENARI
Endlich wurde es Tag. Die drei Männer verließen die Krypta und durchquerten das Kirchenschiff. Van Helsing stieß das Portal auf und trat in den noch schattigen Morgen hinaus. Es war kälter geworden und von einem bewölkten Himmel fielen ein paar Schneeflocken. Der Friedhof lag friedlich im Morgenlicht. Nebel stieg über den Gräbern auf, unter deren Steinplatten einige Körper ruhten, die nicht so tot waren, wie es sich die Bewohner des Städtchens Schäßburg erhofften. Ob schon jemand versucht hatte, dem Spuk ein Ende zu bereiten? Mit einem Priester und Weihwasser, mit einem spitzen Pflock, einem Hammer und einem Schwert, um dem Untoten den Kopf von den Schultern zu trennen? Wenn ja, dann verstanden es die Upiry reinen Blutes, sich stets genügend neue untote Sklaven zu schaffen.
»Mr Stoker? Kommen Sie?«
Bram riss sich von dem Anblick des Friedhofs los und eilte steifbeinig seinen Reisebegleitern nach. Verfroren und hungrig tappten die Männer die Schülerstiege hinunter. Van Helsing bestand darauf, zuerst ein warmes Frühstück zu sich zu nehmen, ehe sie sich um ihre Weiterreise kümmerten, und nicht einmal Bram protestierte. So eine Winternacht in einer Krypta war unangenehmer, als er gedacht hätte.
Das Essen und die Wärme weckten die Lebensgeister der Männer und stachelten ihre Abenteuerlust wieder an. Sie machten sich
sogleich zum Bahnhof auf und waren glücklich zu erfahren, dass ein Zug sie noch an diesem Tag nach Sibiu, dem siebenbürgischen Hermannstadt, bringen konnte. So kauften sie sich Fahrkarten und waren schon wenige Stunden später wieder unterwegs.
Der Zug erreichte Sibiu am Nachmittag. Die Männer gaben ihre Reisetaschen einem Gepäckträger in Obhut und machten sich in die Stadt auf, um sich nach einer geeigneten Kutsche umzusehen und einige Besorgungen zu erledigen. Van Helsing hatte eine ganze Liste von Dingen zusammengestellt, die ihnen seiner Meinung nach von Nutzen sein könnten. Sie trennten sich fürs Erste und verabredeten ein späteres Treffen auf der Piaţa Mare, dem großen Platz bei der katholischen Kirche.
»Und halten Sie sich von Friedhöfen fern«, scherzte Van Helsing zum Abschied.
»Darauf können Sie Gift nehmen«, versprach Professor Vámbéry. »Obgleich es noch nicht dunkel ist!«
Ein Gefährt war schnell gefunden, die Bedingungen mit dem Kutscher zügig ausgehandelt. Er verzog zwar das Gesicht, als sie ihm sagten, dass es
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