Die Erben der Nacht 04 Dracas
sie dann wieder in die Freiheit.
»Das war wirklich nötig«, gab Alisa zu. »Die Geschichte mit dem Adler war anstrengender, als ich gedacht hätte.«
»Bevor wir nach Curtea de Argeş fliegen, sollten wir nachsehen, ob der Meister nicht doch schon zurück ist«, verlangte Luciano.
Um ihre Kräfte zu sparen, wählten sie wieder die vertraute Gestalt der Fledermäuse und flogen noch einmal zur Festung zurück. Sie drehten in sicherem Abstand eine Runde, konnten aber außer dem Buckligen niemand entdecken. Nichts schien sich über Tag verändert zu haben. Luciano wagte gar, an den Donjon heranzufliegen und einen Blick in jedes Fenster zu werfen. Nein, auch hier war alles wie in der Nacht zuvor.
Sie drehten ab und folgten dem Tal nach Süden, bis sich das Wasser des Flusses mit dem des Argeş vereinte.
Es erhoben sich gleich mehrere Kirchen im orthodoxen Stil der Byzantiner über die Dächer der Wohnhäuser. Die Fledermäuse entschieden sich für die größte und prächtigste von allen, die zum alten Kloster gehörte. Sie flogen tiefer und setzten gerade zur Landung an, als Alisa etwas entdeckte. Das musste sie sich näher ansehen.
Was hast du?, erkundigte sich Franz Leopold und folgte ihr.
Siehst du die Kutsche dort drüben mit dem ungleichen Gespann?
Ja, und? Scheint mir nichts Besonderes.
Nein, das Gefährt ist nichts Besonderes und auch nicht der Kutscher, der seine Rösser ausspannt. Aber sieh dir den anderen Mann an, der sich an der Kiste auf dem Dach zu schaffen macht.
Als der Mann sich umdrehte und auf den Weg zur Klosterkirche machte, stieß Franz Leopold ein Fiepen aus.
Haben wir diesen Herrn nicht schon einmal gesehen?
Ja, das haben wir. Mr Bram Stoker, mit dem ich vergangene Woche in Wien eine interessante Unterhaltung geführt habe. Ich bin erstaunt, dass sie es so schnell hierher geschafft haben. Vielleicht ist es Zeit für ein weiteres freundschaftliches Gespräch.
Luciano protestierte. Ihr wollt euch mit einem Menschen zusammentun?
Doch die anderen flogen bereits auf das Portal zu und landeten einige Schritte entfernt unter einem von vier Marmorsäulen getragenen kunstvollen Pavillon, der der starken Ausstrahlung nach eine heilige Stätte war, an der gebetet wurde. Die drei wandelten sich in ihre natürliche Gestalt. Alisa lächelte schelmisch.
»Ich hoffe, Bram Stoker ist nicht zu schreckhaft veranlagt. Es wäre doch ärgerlich, wenn er unvermittelt an einem Schlagfluss verendete.«
»Du meinst, nur weil sich in der Kirche ein paar Vampire zu ihm gesellen?«, erkundigte sich Luciano, den die Vorstellung zu amüsieren begann.
»Ja, so ungefähr.«
»Ich finde es nicht richtig«, sagte Professor Vámbéry und ließ sich mit einem Seufzer in einen der Sitze an der Wand sinken. »Das ist ein Sakrileg!«
Bram Stoker drehte sich zu ihm um. »Wollen Sie lieber riskieren, dass wir bei der nächsten Gelegenheit ausgesaugt werden?«
Der Ungar schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht. Dennoch ist es für einen gläubigen Menschen schwer zu akzeptieren und vielleicht fühle ich mich besser, wenn ich wenigstens laut dagegen protestiere.«
Van Helsings Bart bebte vor unterdrücktem Lachen. »Ja, protestieren Sie, wenn Sie sich damit besser fühlen. Solange Sie mich nicht an meiner Arbeit hindern. Sie werden mir später vielleicht dankbar dafür sein. Mr Stoker, haben Sie die Gefäße, um die ich Sie gebeten habe?«
Bram reichte sie ihm und sah van Helsing bei seinen Vorbereitungen aufmerksam zu. Plötzlich glaubte er, ein Geräusch zu
hören. War das etwa das Portal? Kam jemand und erwischte sie bei ihrem frevelhaften Treiben? Das könnte sie teuer zu stehen kommen! Nein, bei so etwas konnten sie auf kein Verständnis hoffen.
Er lauschte, und obgleich er keine Schritte vernahm, drehte er sich langsam um.
»Guten Abend, Mr Stoker. Wie schön, Sie so bald schon wiederzusehen.«
Die junge Frau kam mit burschikosem Gang auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen, die er verwirrt ergriff. Weiße, kalte Finger, ein wenig von Ruß beschmutzt, lagen in den seinen.
»Fräulein Alisa«, stotterte er. Sie sah genauso aus wie in der Nacht des Brandes, als er sie im Spital getroffen hatte, außer dass ihr Kleid noch ein wenig mehr gelitten hatte. Die Schleppe fehlte nun völlig.
»Ja, ich bin es. Haben Sie mich hier nicht erwartet? Sie waren es doch, der uns das Ziel verriet. Ach, kennen Sie übrigens schon Luciano de Nosferas und Franz Leopold de Dracas?« Die Herren verbeugten sich
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