Die Erben der Nacht 04 Dracas
Privatkutschen ratterten vorbei, fuhren zum Burgtheater oder weiter in die Herrengasse, wo sich ein prächtiges Adelspalais ans andere reihte. Und auch im Kirchenschiff über ihnen hallten manches Mal Schritte über den Steinboden, wenn der Küster spät noch unterwegs war oder ein verzweifelter Mensch nach Einbruch der Dunkelheit Trost und Rat bei seinem Gott suchte. Nun aber war nichts zu hören und dennoch wusste Aurica, dass Málka recht hatte. Sie konnte die Schwingungen spüren, die nur den magischen Wesen eigen sind, die nicht - oder nicht mehr - zur Welt der Menschen gehörten.
»Vampire«, zische Málka. »Es ist keiner von uns. Wer dann? Dracas?«
Aurica starrte auf die Sargrutsche, die sie und ihre Begleiter nutzten, um in die Gruft herunter- und wieder hinauszukommen. Der Weg durch die Kirche war ihnen verwehrt. Doch nichts regte sich an der steinernen Rampe. Ihre Blicke wanderten zur Treppe, die vom Kreuzgang her hier herunterführte. Die Steinplatten und Eisengitter, durch die man in früheren Zeiten die Särge herabließ, bevor man die einzelnen Familiengrüfte miteinander verbunden hatte, waren nun fest im Boden eingelassen und ließen sich nicht mehr öffnen.
»Da ist jemand in der Kirche«, stieß Málka hervor, obgleich sie keine Schritte vernahm. »Das können keine Vampire sein. Wie sollte das gehen?«
Auch Aurica war überrascht. »Vielleicht doch. Ich habe von erstaunlichen Fähigkeiten der anderen Clans gehört.«
Oben wurde die Tür geöffnet, die zum Treppenabgang in die Gruft führte. Rasch zogen sich die beiden Upiry in eine kleine Familiengruft zurück, die am anderen Ende der Pfarrgruft unter einem Seitenaltar lag. Sie waren kaum in dem schmalen Gang, der in die Kammer führte, verschwunden, als eine Tür schlug und sie Stimmen vernahmen.
»Hier unten wird es schon etwas Passendes geben.« Das war die Stimme einer jungen Vampirin, die mit deutschem Akzent sprach. Weicher, italienischer Klang antwortete ihr.
»Es muss aber ein schöner Sarg sein, der ihr angemessen ist. Nicht irgendeine vermoderte Kiste!«
»Ach Luciano, als ob es darauf ankäme.«
»Ich finde es wichtig«, beharrte der Vampir. »Es wird ein Schock für sie sein, nicht in ihrem gewohnten Bett aufzuwachen. Da will ich es ihr so schön wie möglich machen.«
»Der Schock wird sein, dass es ein Sarg ist, ganz egal wie neu und schön er auch sein mag«, entgegnete die Vampirin. »Aber schau nur, wie weitläufig die Grüfte sind. Das hätte ich nicht gedacht. Lass uns dort drüben suchen.«
Die Upiry spürten, wie die beiden Eindringlinge zwischen den
Särgen umherwanderten. Sie kamen immer näher, die Pfarrgruft unter dem Kirchenschiff entlang.
»Alisa, ich weiß nicht, ob wir hier etwas finden. Es ist alles schon so alt und staubig«, klagte der Vampir. Sie waren stehen geblieben und eine Weile sagte die Vampirin nichts.
»Was ist?«, erkundigte sich der Vampir. »Hast du etwas entdeckt?«
»Ja, es ist seltsam. Sehr seltsam«, murmelte die Vampirin.
»Ein seltsamer Sarg?«
»Nein! Ein seltsamer Geruch. Witterst du denn gar nichts?«
»Es riecht halt wie in einer alten Gruft«, gab er gelangweilt zurück.
»Luciano!«, zischte sie. »Konzentrier dich! Das gefällt mir hier gar nicht.«
Die Upiry hörten an ihren Stimmen, dass sie sich langsam wieder Richtung Querschiff zurückzogen. Plötzlich rumpelte es, als sei ein Sarg von einem der Stapel gefallen.
»Luciano, pass doch auf!«
»Entschuldigung. Alisa, weißt du, was das für ein Geruch ist?«
»Vampire. Fremde Vampire. Keine Dracas«, flüsterte die Vampirin.
»Wir haben so etwas Ähnliches schon mal gerochen. Erinnerst du dich?«
»Irland!«, meinte Alisa tonlos.
»Ja, Irland.«
»Die Raben«, raunte Luciano. »Jetzt wissen wir, zu wem die Raben gehören.«
»Das könnte stimmen. Sehen wir zu, dass wir hier verschwinden!«
Die beiden Upiry sahen einander an. Aurica fluchte tonlos.
»Schnappen wir sie uns«, wisperte Málka. »Zwei sind besser als nichts.«
Aurica schüttelte den Kopf. »Tonka wird uns vierteilen, wenn wir gegen ihre Anweisung verstoßen.«
»Wo bleibt ihr denn? Macht schon, wir haben nicht ewig Zeit. Ihr müsst zurück!«
Wer war denn das? Sein Akzent war dem der Vampirin ähnlich, nur musste es sich um einen etwas älteren Vampir handeln. Es klang so, als stünde er am Ausgang der Sargrutsche.
»Gebt mir die Särge hier durch. Ihr wisst, dass ich euch durch die Kirche nicht folgen kann.«
»Es sind noch mehr«,
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