Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
war.
»Danke, mein Freund! Das war ein Geistesblitz und Rettung zur rechten Zeit.«
»Gern geschehen. Nun habe ich mich wenigstens für einiges revanchiert.«
Sie stemmten sich aus dem Wasser und eilten zu Anna Christina, die sie, noch immer halb mit Federn bedeckt, mit wild rollenden Augen anstarrte. Leo bückte sich und hob sie auf.
»Ich kann dir das nun leider nicht ersparen.« Er trug sie in seinen Armen den Steg entlang. »Dein Bad ist angerichtet!«
Und dann sprang er und wiederholte mit seiner Cousine, was Luciano mit ihm gemacht hatte. Als sie zusammen wieder auftauchten, waren Federn und Schnabel verschwunden, doch Anna Christinas Miene war finster, als sie sich auf den Steg hinaufzog. Lucianos dargebotene Hand lehnte sie ab. Er versuchte, eine ernste Miene zu bewahren, doch er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, wie die stolze Dracas mit ihrem zerrissenen und nun klatschnassen Ballkleid vor ihm stand. Ihr prächtiges Haar hatte sich gelöst und hing ihr in tropfenden Strähnen bis zur Hüfte herab.
»So, das gefällt dir also, mich hier wie einen begossenen Pudel zu sehen«, fuhr sie Luciano an, der erschrocken zurückwich.
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber gedacht!«, gab sie zurück.
Er schwieg und Anna Christina beachtete ihn nicht mehr. Sie sah an sich herab und schüttelte den Kopf.
»Diese Larvalesti gehen mir langsam auf die Nerven. Das Kleid jedenfalls ist ruiniert.«
»Und deine Rache wird fürchterlich sein«, murmelte Leo.
»Schon möglich«, gab Anna Christina zurück. Sie bückte sich und riss ihr Kleid mit einem Ruck vollends auf, schlüpfte aus den Resten und warf sie ins Wasser. Nun stand sie in ihrem wadenlangen Unterkleid vor den beiden Vampiren, das, noch immer triefend nass, sich um ihren wundervoll geformten Körper schmiegte. Luciano wusste gar nicht, wo er hinsehen sollte. Geradezu panisch versuchte er, nichts zu denken, denn alle Gedanken, die ihm im Augenblick in den Sinn kamen, waren nicht dazu geeignet, von Anna Christina gelesen zu werden.
Anna Christinas Lippen verzogen sich, doch das Lächeln war nicht so kalt wie so oft. »Ich schlage vor, wir konzentrieren uns wieder auf den Grund, warum wir hergekommen sind!«
Sie ging mit ausladenden Schritten voran, während die beiden Freunde ihr in einigem Abstand folgten.
»Sie ist erstaunlich. Ganz und gar erstaunlich«, murmelte Leo, und Luciano fragte lieber nicht, auf welche von Anna Christinas Eigenschaften Leo diese Worte bezog.
I N DER H ÖHLE DES L ÖWEN
Anna Christina hatte das Ende des Stegs erreicht und schlüpfte in die dunkle Höhlung, die sich vor ihnen auftat. Die beiden Vampire folgten ihr. Sie sahen sich aufmerksam um. Was war das nur für ein seltsamer Gang? Sie kamen an gemauerten Kavernen vorbei. Luciano hob fragend den Blick.
»Es erinnert mich ein wenig an Wien«, sagte er.
Nun waren es Leo und Anna Christina, die nicht verstanden.
»An das Palais Coburg der Dracas«, fügte Luciano hinzu, doch das verwirrte offensichtlich noch mehr. »Ich meine, was wir unter dem Palais gesehen haben.«
Endlich nickte Leo. »Ah, du meinst die Kasematten. Du denkst, das hier könnten ebenfalls alte Verteidigungsanlagen sein?« Leo sah sich aufmerksam um. »Ein vorgelagertes Fort mit Pulverlager, Artillerieplattformen und unterirdischen Verbindungsgängen. Ja, das ist gut möglich. Vermutlich haben die Venezianer ihre Verteidigungsanlagen vor mehr als dreihundert Jahren gegen die immer weiter nach Westen vorrückenden Osmanen errichtet und Napoleon hat die Anlage später ausgebaut. Heute werden sie jedenfalls nicht mehr für ihre ursprünglichen Zwecke genutzt.«
»Sondern bieten nun den Larvalesti ein hervorragendes Versteck«, ergänzte Anna Christina. Luciano hatte das Gefühl, in dem Blick, mit dem sie ihn kurz ansah, würde so etwas wie Anerkennung liegen. Aber vermutlich täuschte er sich.
Sie gingen weiter. Die Gänge verzweigten sich immer wieder und führten zu ummauerten Plattformen hinaus, auf denen wahrscheinlich einst schwere Kanonen gestanden hatten, um die Zufahrt zum nördlichen Teil der Lagune zu verteidigen. Auf dem Lido, der langen Barriereninsel, die die Adria von der Lagune trennte, und anderen Inseln, die Schiffe in Richtung Bacino de San Marco passieren mussten, befanden sich weitere Befestigungsanlagen, vermutlich ebenso verlassen und verfallen wie diese.
Sie kehrten zum Hauptgang zurück, der unter den Dünen parallel der Küste verlief.
Plötzlich blieb Anna Christina
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