Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
Blick. Sie stürmten noch zu dem abgetrennten Teil an der Schmalseite des Dachbodens, aber auch hier war niemand.
Mit einem Stöhnen ließ sich Alisa auf ihren Sarg sinken. »Sie sind weg. Tammo und die Oscuro sind verschwunden.«
Leo trat zu ihr. »Ja, das lässt sich nicht bestreiten.«
»Wir hätten ihn nicht mit ihr allein lassen sollen. Wie konnte ich nur so nachlässig sein. Er ist doch fast noch ein Kind. Es ist alles meine Schuld!«
Hindrik sah sich suchend auf dem Dachboden um und seufzte dann. »Nein, wenn, dann ist es meine Schuld, denn es war meine Aufgabe, auf ihn achtzugeben.«
»Statt die Einkäufe meiner Cousine zu tragen«, ergänzte Leo, was Hindrik nicht gerade aufbaute.
Anna Christina mischte sich ein. »Jetzt hört aber auf. Tammo ist kein kleines Kind mehr! Er hat die Akademie durchlaufen und sein Ritual gefeiert. Er gehört als vollwertiges Mitglied zu seinem Clan wie jeder von uns. Er ist weder dumm noch schwach, und er hat sich selbst gemeldet, seine Gefangene eine Nacht lang zu bewachen. Es war nicht vorherzusehen, dass da etwas schiefgehen könnte.«
Alisa sah sie mit zornigem Blick an. »Mag ja sein, und dennoch ist er erst vierzehn, und diese Larvalesti verfügen über Kräfte, die uns gefährlich werden können. Wer weiß, was sie außer dem, was wir schon erfahren haben, noch alles können. Sie sind gefährlicher, als wir es bisher angenommen haben. Diese Nicoletta mit ihrer Unschuldsmiene hat ihn überrumpelt und den Spieß herumgedreht. Nun ist er ihr Gefangener, und sie hat ihn wer weiß wohin geschleppt.« Alisa hörte die Panik in ihrer Stimme.
»Nette Vorstellung, wie das kleine Mädchen deinen zu einem Paket verschnürten Bruder auf dem Rücken davonträgt!«, wandte Luciano sarkastisch ein.
»Ich finde das alles andere als nett!«, fauchte Alisa zurück. »Er ist mein Bruder und ist nun genauso verschwunden wie deine Clarissa, nach der wir Nacht für Nacht unermüdlich suchen. Aber ein verschwundener Vamalia scheint dir nicht so wichtig zu sein!«
Luciano öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Leo ging dazwischen.
»Alisa, jetzt reicht es! Luciano hat nichts Falsches gesagt. Und er hat damit auch nicht andeuten wollen, dass ihm Tammo nicht ebenso ein Freund ist wie uns. Er hat uns lediglich darauf hingewiesen, dass an diesem Bild, das du heraufbeschwörst, etwas schief ist! Dein Bruder ist nicht gerade klein oder schmächtig zu nennen, während das Mädchen recht zierlich ist. Da ist es legitim, sich zu fragen, wie sie es geschafft haben soll, ihn zu überwältigen.«
Alisa warf die Arme in die Luft. »Was weiß denn ich? Vielleicht ist es ihr gelungen, an ihr Zauberpulver heranzukommen, und sie hat ihn damit betäubt.«
»Und wie hat sie ihn dann von hier weggeschafft?«, meldete sich Anna Christina zu Wort. »Luciano hat recht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie über solche Kräfte verfügt. Gut, die Larvalesti haben dieses Pulver und sie besitzen Umhänge, mit denen sie wie Vögel durch die Luft segeln können, ihre körperlichen Kräfte schienen mir jedoch lediglich die von gewöhnlichen Menschen. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass Tammo sie hat gehen lassen.«
»Ach, und warum sollte er so etwas tun? Sie war unsere Geisel und damit unser Druckmittel gegen die Oscuri. Er hat sie selbst gefangen genommen und hierhergebracht«, erinnerte Alisa.
Anna Christina hob die Schulter. »Das ist schon richtig, aber dann ist er wohl dem süßen Gesicht erlegen und hat sich von ihren Lügengeschichten einwickeln lassen.«
»Nein! Niemals!«, rief Alisa empört. »So etwas könnte vielleicht Luciano passieren«, sie achtete nicht auf den empörten Ausruf des Nosferas, »aber nicht Tammo. Er ist noch nicht so weit, dass ihn Mädchen überhaupt interessieren.«
»Da habe ich aber anderes in seinem Geist gelesen«, widersprach Anna Christina kühl. Für einen Moment starrten sie einander nur an.
»Vielleicht geht es ja gar nicht nur um die beiden«, mischte sich Hindrik wieder ein. »Vielleicht ist es den Larvalesti gelungen, unser Versteck aufzuspüren. Zum Palazzo Dario ist es nicht weit. Mag es Zufall sein oder nicht, sie könnten hier eingedrungen sein, Nicoletta befreit und Tammo überwältigt haben.«
Alisa starrte ihn an und nickte betroffen. »Vermutlich hast du recht. Ach, wie konnten wir so leichtsinnig sein, ihn allein zurückzulassen. Aber vielleicht sind sie noch nicht weit gekommen. Los, lasst uns ausschwärmen und die Gassen absuchen.
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