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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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eisige Miene vor seinem geistigen Auge auftauchte.
    Pah, es hatte sie niemand aufgefordert, mit nach Venedig zu kommen. Sie hatte sich ihnen ungefragt aufgedrängt. Was sollte ihn ihre Meinung kümmern? Und genauso wenig interessierte es ihn, was Leo von ihm dachte.
    Zumindest versuchte er, sich das einzureden, und verdrängte die Stimme, die ihn daran erinnerte, wie Leo sich verändert hatte. Er war längst nicht mehr das arrogante Ekel, das sie in Rom im ersten Jahr der Akademie kennengelernt hatten.
    Tammo richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Wasser, das seine schwarze Farbe verloren hatte. Nein, nicht das Wasser war heller geworden. Es spiegelte nur den Himmel wider, dessen nächtliche Schwärze zu schwinden begann.
    »Wie weit ist es denn noch?«, erkundigte er sich.
    »Nicht mehr weit«, gab Nicoletta Auskunft.
    »Wir müssen vor Sonnenaufgang da sein. Länger kann ich nicht unter freiem Himmel sein. Die Strahlen würden mich verbrennen.«
    »Ich weiß«, sagte Nicoletta. Ein seltsamer Ausdruck von Schmerz legte sich über ihr Gesicht und sie wandte den Blick rasch ab. »Es ist die Insel dort vorne. Sie ist heute unbewohnt. Ganz früher gab es mal ein Siechenhospital, und dann brachte man in Zeiten der großen Pest die Kranken hierher, weniger, um sie zu heilen, als vielmehr, um sie hier sterben zu lassen und den Rest der Stadt vor ihnen zu schützen. Es stehen noch einige Gebäudereste, in denen du Schutz vor der Sonne findest.«
    »Na, das klingt doch gemütlich!«, scherzte Tammo, vielleicht um das ungute Gefühl in sich zu übertönen. »Und auf dieser Insel ist Clarissa?«
    Nicoletta mied noch immer seinen Blick. »Ich habe es dir doch erzählt. Die meisten der Oscuri waren dafür, die Vampirin zu vernichten. Mein Vater ist zwar das Oberhaupt der Familie, aber er hält sich an den Beschluss der Mehrheit. Daher sagte er ihnen, er würde  – nun ja  – es tun«, sagte sie. Sie scheute sich wohl, ein Wort in den Mund zu nehmen, das dem gewaltsamen Akt Ausdruck verlieh.
    »Er war nicht dafür, und ich weiß nicht, ob er es wirklich getan hätte«, fuhr sie schnell fort, »aber ich wollte nichts riskieren. Und so habe ich sie, nachdem die Männer zu ihrem nächtlichen Zug aufgebrochen waren, an einen Ort gebracht, wo auch mein Vater und die anderen Männer sie nicht suchen würden.«
    »Warum? Warum hast du das getan?«, forschte Tammo nach. »Sie ist doch nur ein Vampir, ein blutsaugendes Monster, nicht wahr?«
    Nun schenkte ihm Nicoletta einen scheuen Blick. »Du bist auch ein Vampir, und dennoch fahren wir zusammen auf die Lagune hinaus. Du hast mich gefangen genommen, aber du hast mich auch befreit. Wie könnte ich dich für ein Monster halten? Wenn man dich nur ansieht, kann man die Schauermärchen, die man hier und da hört, nicht mehr recht glauben.«
    Ihre Worte wärmten ihn. »Bei den anderen Oscuri hat das ja offensichtlich nicht so funktioniert. Erzähle mir von ihnen.«
    Nicoletta überlegte, während Tammo weiter auf die Insel zusteuerte. »Calvino, mein Vater, ist der Älteste und unser aller Padre  – abgesehen vom alten Tommaso, der aber nicht mehr gehen kann und deshalb nicht mehr bei unseren nächtlichen Zügen dabei ist. Calvino hat drei Brüder, Michele, Flavio und Leone, und die haben sechs Söhne. Außerdem habe ich zwei ältere Brüder, Edoardo und Filippo. Tja, was gibt es noch zu erzählen? Flavio war schon immer eifersüchtig auf meinen Vater und würde gern seinen Rang einnehmen. Er hält sich für schlauer und besser und schimpft stets über die Vorsicht meines Vaters, die allerdings dafür gesorgt hat, dass nie ein Oscuri von der Polizei erwischt wurde. Sein Sohn Alessandro ist ein beutegieriger Kerl, der seinem Vater nacheifert.«
    »Und deine Brüder?«
    Nicoletta hob die Schultern. »Die mögen mich nicht besonders. Und ich sie auch nicht. Na ja, eigentlich mag ich keinen von ihnen, denn sie zeigen mir alle, dass ich nicht zu ihnen gehöre und dass sie Vaters Entscheidung missbilligen. Außer mein Onkel Leone. Er ist mein einziger Freund und der Treuste der ganzen Bande. Er hält zu Vater und unterstützt ihn. Er würde alles tun, um ihm den Rücken zu stärken und seine Position als Padre der Oscuri zu bewahren.«
    »Und die Frauen? Ich meine, es muss doch auch Mütter geben, Töchter, Tanten, Schwestern?«
    Nicoletta machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ja, die Frauen, die stummen Seelen der Oscuri. Die Rosen, die hinter Mauern im Verborgenen blühen, um das

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