Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
seufzte. »Mach es uns doch nicht so schwer. Niemand will dich zu etwas zwingen. Es ist einfach der Lauf der Dinge, und Michele würde sich freuen, wenn du Gabriele deine Hand geben würdest.«
    »Er ist dreißig! Ich habe nichts gegen ihn, aber ich werde ihn ganz sicher nicht heiraten. Hat Calvino eurem Drängen nachgegeben? Das glaube ich nicht!«
    Nun mischte sich Tommaso ein.
    »Dein Vater ist durch das Aufwühlen der alten Geschichte ein wenig aus der Bahn gebracht, das muss ich zugeben, doch er steht nach wie vor hinter dir, und er liebt dich über alles. Vielleicht ein wenig zu viel. Immerhin sieht er ein, dass es nicht klug wäre, dich heute Abend mitzunehmen, solange sich die Wogen nicht geglättet haben. Das letzte Wort ist zu diesem Thema noch nicht gesprochen. Dich bitte ich, sei vernünftig und bleibe bei mir, dann erzähle ich dir, was wir für heute Nacht geplant haben.«
    »Und wenn ich dennoch mitwill?«, erwiderte sie trotzig.
    Tommaso streckte seine Arme nach ihr aus. »Dann würdest du deinen Vater zwingen, dich einzusperren. Willst du das wirklich?«
    Nicoletta seufzte. »Nein.« Sie kam zu ihm und setzte sich neben den gelähmten alten Mann. »Erzähle!«
    Seine blassen Augen glänzten. »Heute nehmen wir uns das Herz Venedigs vor«, sagte er mit gesenkter Stimme.
    »Ihr wollt Schätze aus dem Markusdom rauben?«, keuchte Nicoletta.
    »Nein! Den heiligen Markus bestehlen wir nicht, nur den Adel und die reichen Besucher der Stadt. Das war schon immer so, und so wird es auch bleiben.«
    »Dann …« Sie sog scharf die Luft ein. »Der Dogenpalast!«
    Tommaso nickte. »Ja, der Dogenpalast.«
    Nicoletta runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, wir Oscuri seien seit Jahrhunderten der Republik und dem Dogen treu. Wir haben nie auch nur einen Silberlöffel aus dem Palast entwendet. Das hat mir Calvino erzählt.«
    »Die Republik gibt es seit Napoleon nicht mehr und auch keinen Dogen. Die Schätze gehören jetzt dem Königreich Italien. Sind wir einem König in Rom verpflichtet? Wohl kaum!«
    Nicoletta nickte. »Gut, aber was gibt es für uns dort zu holen? Wollt ihr Tintorettos Paradies aus seinem Rahmen schneiden oder die Deckengemälde der Sala del Colegio rauben?«
    Tommaso schmunzelte. »Das liegt uns fern. Es wäre noch im Nachhinein ein Frevel an der Reihe unserer Stadtoberhäupter und an der Serenissima. Nein, in den Räumen des Palasts werden ab heute Schätze aus ganz Italien ausgestellt. Sakrale Gerätschaften aus Gold und Edelsteinen von verschiedenen Kirchen und Klöstern, die, meiner Meinung nach, noch genug Schätze haben und diese durchaus entbehren können.«
    Nicoletta grinste. Das war nach ihrem Geschmack. Die Kirche Roms hatte in Venedig nie viel gegolten. Sie zu bestehlen, verursachte einem Oscuri keine Kopfschmerzen.
    »Ich wäre zu gern dabei«, seufzte sie, doch die beiden Männer schüttelten einmütig die Köpfe.
    »Lass sich die Gemüter ein wenig beruhigen, dann ist Calvino sicher bereit, mit dir über die Sache zu sprechen«, riet Leone.
    Er lehnte es auch ab, mehr über den Plan zu verraten. Frustriert stemmte sich Nicoletta aus dem weichen Diwan hoch.
    »Ich brauche ein wenig frische Luft«, sagte sie und stürmte hinaus, ohne auf den Protest zu achten, der ihr folgte. Sie lief die Treppe hinunter und schlüpfte durch den geheimen Zugang nach draußen. Inzwischen war es dunkel geworden und es regnete. Der Sturmwind rüttelte an den baufälligen Dächern der Schuppen und Werkstätten, von denen die meisten seit vielen Jahren verlassen dalagen. Früher hatte hier emsige Geschäftigkeit geherrscht, als Venedig noch die führende Seemacht gewesen war. Als Tausende Arbeiter der größten und modernsten Werft im Krieg gegen die Türken zwei Galeeren pro Tag gebaut und für den Krieg ausgerüstet hatten! Heute herrschte hier nur noch der Verfall, der Nicoletta traurig stimmte. Sie starrte über das riesige Wasserbecken, in dem statt prächtiger Kriegsgaleeren nur ein halb verrotteter Kahn dümpelte.
    Eine Gestalt näherte sich. Nicoletta konnte ihre Schritte nicht hören, doch sie sah, wie sich der Dreispitz und ein vom Wind geblähter Umhang vor dem schimmernden Wasser abzeichneten. Sie wusste nicht, wer es war, doch da es nur wenige Mitglieder ihrer Familie gab, denen sie jetzt begegnen wollte, ging sie hinter einem morschen Ruderboot, das hier auf dem Trockenen lag, in Deckung. Die Gestalt kam näher, doch statt das alte Boot zu passieren und auf den Eingang des Verstecks

Weitere Kostenlose Bücher