Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)
Pistole in Tammos Hand.
»Guter Schuss«, bemerkte sie, als ihr Fuß das Knie des Mannes traf, der sich nach der Pistole bückte, die der Schütze hatte fallen lassen. Er strauchelte. Seine Maske verrutschte und entblößte das Gesicht eines jungen Mannes, dessen Miene von Hass verzerrt war. Alisa richtete die Pistole auf ihn.
»Und, willst du mich nun auch ermorden?«, zischte er.
»Nein, du darfst fair um dein Leben kämpfen«, mischte sich Leo ein. Er nahm seiner Cousine den Degen ab und streckte dem am Boden Liegenden den Griff entgegen.
Alessandro griff mit einem Fluch danach und rappelte sich auf. Alisa nahm vorsichtshalber die Pistole des toten Schützen an sich.
»Ich protestiere!«, rief Calvino. »Das ist Sache der Oscuri, nicht eure.«
Er hatte die Vampire inzwischen erkannt, trotz ihrer Masken und Umhänge.
»Es wurde zu der unseren, als ihr Clarissa entführt habt«, zischte Luciano und zog ihn zurück in den Kreis, den die anderen um Leo und Alessandro gebildet hatten. Die beiden hoben die Degen und begannen einander zu umkreisen.
Ein Geräusch ließ sie alle jedoch aufschrecken. Ein fernes Quietschen und dann ein Rumpeln.
»Die Polizei ist da!«, rief Nicoletta und eilte zu ihrem Vater. »Wir müssen fort!«
»Ich lasse keinen Oscuro im Stich!«, widersprach er.
»Er ist ein Verräter, der dein Leben wollte«, drängte Nicoletta.
»Das ist nicht bewiesen«, wehrte Calvino ab.
»Dann frage ihn! Er soll dir selbst sagen, ob er mit seinem Vater deinen Tod geplant hat.«
Sie deutete auf Alessandro, den Leo bisher lediglich auf Distanz hielt. Sein Gesicht war hassverzerrt, als er hervorstieß:
»Aber ja, Calvino, und das wundert dich? Du bist schwach geworden, schon in dem Augenblick, als du dieses Weib zum ersten Mal erblickt hast. Du hast unsere Regeln verletzt. Flavio hoffte, es werde besser werden, nachdem sie so unerwartet verschwand, aber seitdem schenkst du deine Affenliebe ihrer Tochter, die du wie einen Sohn aufgezogen hast.
Und dann noch die Geschichte mit der Vampirin. Du warst zu feige, sie zu töten, und hast stattdessen zugelassen, dass Nicoletta sie freiließ. Du bist für die Oscuri zur Gefahr geworden, daher haben wir entschieden, dich zu ersetzen.«
»Und mich zu töten?«
Die Antwort lag in Alessandros Miene, als er den Dracas attackierte.
Alisa lauschte. Zwischen dem Klirren der Degen und dem Gemurmel der Oscuri war der Klang vieler Stiefel zu hören.
»Sie sind schon im Hof!«, warnte sie. »Zieht euch zurück!«
Die maskierten Gesichter wandten sich Calvino zu. Sie schienen ihn noch als ihren Anführer zu sehen und warteten auf seine Entscheidung.
Calvino warf Alessandro noch einen letzten Blick zu.
»Ich verzeihe dir«, sagte er ruhig.
»Und ich verfluche dich in alle Ewigkeit. Dich und deine Bastardtochter!«
Die Stiefel polterten die Prunktreppe unter dem goldenen Stuckgewölbe hinauf.
»Beeilt euch! Sie sind gleich da.«
Calvino wandte sich ab. »Gehen wir. Jeder nimmt die Route, die wir bestimmt haben. Über die Dächer können sie uns nicht folgen.« Er griff nach Nicolettas Hand und zog sie zur Tür. Die Oscuri packten ihre Beutel und folgten ihm.
Für einige Augenblicke starrten die Vampire ihnen nach. Die Tür fiel ins Schloss.
Da sog Tammo scharf die Luft ein und sah zu Alisa hinüber. »Ihre Umhänge! Wie wollen sie damit über die Abgründe kommen? Hat Nicoletta das vergessen? Ich muss ihnen nach!«
Tammo lief den Oscuri hinterher, die bereits auf dem Weg zum Dachboden waren.
Noch immer fochten Leo und Alessandro miteinander, doch Alisa hatte nicht den Eindruck, der Dracas sei in ernster Bedrängnis. Ihre Hilfe wurde woanders gebraucht.
»Anna Christina, gib mir den Umhang!«, forderte sie.
Die Dracas sah sie an. »Willst du mal wieder deinem kleinen Bruder hinterher und Kindermädchen spielen?«
»Gib ihn mir einfach!«
Doch Anna Christina machte keine Anstalten, den Umhang des Oscuro abzulegen.
»Verflucht!«, schimpfte Alisa, bückte sich zu dem toten Flavio herab und riss den Umhang von seinem Leib. Sie warf ihn sich über die Schultern und rannte hinter Tammo her.
Anna Christina sah ihr kopfschüttelnd nach. »Warum nur habe ich das Gefühl, diese Szene schon einmal erlebt zu haben.«
Sie sah zu Hindrik und Luciano hinüber, die unschlüssig zwischen den beiden Fechtenden und der Tür, durch die Alisa eben verschwunden war, hin- und herblickten.
»Bleibt ihr hier und sorgt dafür, dass mein geliebter Vetter nicht in die Hände der
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