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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sprach das andere Paar an und schaffte es, dass die Damen ihre Plätze tauschten. Nun tanzte die Dame mit dem Veilchenduft mit dem  – der Uniform nach zu schließen  – österreichischen Offizier der kaiserlichen Gebirgsjäger weiter, während die diamantenschwere Matrone in den Arm des Vermummten wechselte. Es dauerte kaum zwei Drehungen, da nahm auch sie den verzückten Gesichtsausdruck an, und nach den nächsten dr ei Taktschlägen waren die Diamanten verschwunden.
    »Erstaunlich«, kommentierte Alisa bewundernd, die nicht gesehen hatte, wie er das angestellt hatte. Nun musste er sie nur wieder loswerden und sich das nächste Opfer suchen. Wie lange konnte das gut gehen? Wann würden die ersten Damen aus ihrer Erstarrung erwachen und den Verlust bemerken?
    Aus den Augenwinkeln erhaschte Alisa einen Blick auf eine andere Dame mit wertvollem Schmuck, die mit einem feschen Offizier tanzte, der ebenfalls nicht sehr italienisch wirkte. Sie konnte seine Uniform nicht einordnen, vermutete aber, dass auch er zur Armee des Kaisers gehörte. Oder stammte er aus Preußen? Egal. Jedenfalls waren viele Ausländer geladen. Vielleicht war gerade das für die Larvalesti ein willkommener Anlass. So würde der fremde Schatz in Venedig bleiben. Die eigenen Landsleute auszurauben, barg vielleicht den Nachteil, dass ihr Reichtum, nach dem bereits Jahrhunderte andauernden Niedergang der Republik Venedig, sich irgendwann dem Ende zuneigte. Vielen Palazzi mit dem Namen großer Familien sah man inzwischen an, dass das Geld nicht mehr locker saß. Dringende Renovierungen wurden hinausgeschoben und an allen Ecken und Enden gespart. Zumindest solange es keiner mitbekam. Ein solcher Ball war natürlich nicht der rechte Anlass, sich bescheiden zu geben. Da musste alles aufgefahren werden, was noch an den alten Glanz erinnerte. So war es sicher ganz praktisch, wenn der nicht abreißende Strom an reichen Touristen neues Geld in die Stadt brachte, das nun nicht nur Hoteliers und Gondolieri zugute kommen würde. Alisa ließ den Blick schweifen und suchte nach Anna Christina, konnte sie aber nirgends entdecken. Wieder blieb ihr Blick an der Dame mit dem wertvollen Schmuck hängen, die nun den Tanzpartner wechselte. Ihr neuer Galan war in Schwarz gekleidet. Sollte auch er zu den Gesuchten gehören?
    Leo nickte. »Wir sollten uns an seine Fersen heften.«
    Der Walzer endete und die Musiker spielten einen Tusch. Alle Gäste drehten sich zu ihnen um. Inzwischen war der Saal gefüllt, und es hatten vermutlich auch die wichtigen Spätankömmlinge ihre Aufwartung gemacht. Eine Dame in einem verschwenderisch verzierten Spitzenkleid trat vor. Sie hatte zwar einen lindgrünen Domino umgelegt, trug aber keine Maske. Alisa schätzte sie um die sechzig. Sie war ein wenig hager, hielt sich aber so königlich, dass sie vermutlich von einem alten Adelsgeschlecht stammte. Vielleicht war sie die Hausherrin, eine Contessa oder gar Principessa . Alles was Alisa wusste, war, dass die Adelsfamilie Calergi, die den Palazzo lange Zeit bewohnt hatte, vor mehr als einhundert Jahren ausgestorben und der Palast an die Familie Vendramin übergegangen war. Danach hatte eine Duchessa de Berry das Haus gekauft. Vielleicht war das die Dame dort vorn, die nun das Wort erhob. Sie begrüßte die Gäste mit blumigen Worten und gab ihrer Freude Ausdruck, dass, wer auch immer Rang und Namen in Venedig und der Welt habe, hier heute versammelt sei. Das war sicher ein wenig übertrieben, aber so schmeichelte man sich gegenseitig.
    »Und nun will ich Ihnen meinen besonderen Gast vorstellen, den Sie sicher schon mit Ungeduld erwarten. Ich übertreibe nicht, wenn ich seine Musik göttlich nenne. Begrüßen Sie mit mir den großen Komponisten Richard Wagner!«
    Wagner hatte auf die übliche Kostümierung verzichtet. In seinem schlichten schwarzen Frack trat der Künstler neben die Gastgeberin und nahm mit stoischer Miene den Beifall der Ballgäste entgegen. Sein Lächeln wirkte eher ein wenig gequält, und Alisa hatte das Gefühl, es fiele ihm schwer, sich aufrecht zu halten. Er litt Schmerzen. Sie spürte, dass ihm sein Herz nicht mehr lange dienen würde.
    Richard Wagner, der sich seit September im Mezzanin des Quergebäudes eingemietet hatte, war ein hagerer Mann mit ernsten Gesichtszügen. Er trug das braune Haar nach hinten gekämmt. Lange Koteletten rahmten sein Gesicht ein, die über einen schmalen Wangenbart zu dem ebenfalls behaarten Hals übergingen, während das kantige Kinn

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