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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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gestorben. Zu ihren Lebzeiten habe ich es nicht oft betreten.«
    »Warum nicht?«
    »Sie wollte es nicht. Ich sollte mich lieber in meinem Zimmer unter dem Dach aufhalten. Sie wollte überhaupt so wenig wie möglich daran erinnert werden, welches Monster sie zur Welt gebracht hat.«
    Die Worte klangen so bitter, dass Ivy sich zurückhalten musste, nicht die Hand auszustrecken, um ihm tröstend die Schulter zu streicheln. Aber da war der Moment auch schon verweht. Er stand wieder mit gestrafftem Rücken da, eine Aura von Stolz und Stärke um sich.
    »Gehen wir wieder hinüber.« Er wartete auf sie und schloss die Tür hinter ihr.
    Ivy trat auf das Klavier zu und drückte ein paar aufeinanderfolgende Tasten, dass eine leise Tonfolge erklang. »Wie gerne würde ich
dieses Instrument spielen können. Ihm zarte Weisen und gewaltige Choräle entlocken.« Überall lagen Stapel von Notenpapier herum. Einige waren gedruckt, viele aber schienen selbst geschrieben zu sein. Ivy hob ihren Blick zu Erik, der sie durch seine Maske beobachtete. »Kannst du spielen?«
    Die Maske bewegte sich, als zöge er dahinter eine Grimasse. »Ja, ich habe das Klavierspiel bereits in meiner Kindheit erlernt, von meiner Mutter und von Marie, ihrer Freundin - oder besser Gesellschafterin. Die einzige Person, die es in meiner Gegenwart auszuhalten schien - außer vielleicht Vater Mansart, zu dessen kirchlichen Pflichten die Barmherzigkeit ja gehörte.« Wieder dieser harte, bittere Ton. »Meine Mutter hat Opernarien gesungen. Ihre Stimme war schön und ich habe sie auf dem Klavier begleitet. Ich glaube, da war ich fünf.« Für ihn schien das selbstverständlich.
    »Willst du etwas für mich spielen?«, bat Ivy.
    Erik nickte und setzte sich an die Orgel. Zuerst schwebten seine langen, schmalen Finger, die so weiß wie Ivys waren, bewegungslos über den Tasten, dann ließ er sie kraftvoll fallen. Ein brausender Akkord erfüllte das unterirdische Gemach. Dann begann er zu spielen. Innerhalb weniger Augenblicke schien er ihre Anwesenheit vergessen zu haben. Er bewegte sich in einer Trance, die Körper und Geist erfasst hatte. Die gewaltigen Töne hüllten sie beide ein, wiegten sie, ließen sie erzittern. Ivy erschauderte. Plötzlich hielt er inne und sah fragend zu ihr herüber.
    »Wundervoll!« Sie erhob sich und trat zu den Orgelpfeifen. »Dass man diesen Röhren solche Töne entlocken kann!«
    Erik wechselte zum Klavier und spielte nun sanft und leise. Dann begann er zu singen. Langsam wandte sich Ivy zu ihm um. Sie konnte erst gar nicht fassen, dass er es war, der diese reinen Töne sang. Das erste Stück kannte sie nicht, doch dann sang er eine Arie aus einer Oper von Verdi und dann einige Takte aus Rossinis La Cenerentola. Plötzlich ließ Erik die Hände sinken, sein Gesang brach ab. Er starrte zu dem verschlossenen Eingang hinüber. Ivy und Seymour folgten seinem Blick. Was war los? Weder Ivy noch der Wolf hörten oder witterten etwas, das seine Unruhe erklären konnte.

    Ein Glöckchen klingelte. Erik sprang auf. Dann erklang ein zweites Klingeln. »Wir bekommen Besuch. Ich fürchte, sie sind auf der Suche nach dir.«
    Er hatte es bereits geahnt, noch ehe der Alarm ausgelöst worden war! Doch wie konnten Vampire so unachtsam sein, einen Draht zu berühren oder was das Phantom sich sonst ausgedacht hatte, um sich rechtzeitig warnen zu lassen. Waren die Pyras so plump und unaufmerksam wie Menschen? Oder hatten gar ihre Freunde den Fehler begangen?
    Luciano!, dachte Seymour. Ivy rügte ihn, obwohl auch er ihr in den Sinn gekommen war. Vielleicht hatten die Pyras das Signal absichtlich gegeben, aus Respekt vor Eriks Revier.
    Gleichgültig wie es gelaufen war, das Klingeln mahnte sie zum Aufbruch. Ivy erhob sich. »Dann gehe ich jetzt besser. Der Tag naht.«
    »Und du wirst offensichtlich bereits vermisst«, ergänzte Erik, der ebenfalls aufstand. »Uns bleibt noch genug Zeit, dass ich dich mit dem Boot übersetze.« Er bot ihr die Hand, die sie ergriff, als wäre sie eine Dame und bräuchte einen starken Arm, um auf unebenem Grund nicht zu straucheln.
    »Du hast mir noch nichts über den Pyras gesagt, der statt deiner gefangen wurde.«
    »Dies war der Grund, weswegen du mich aufgesucht hast. Ja, fast hätte ich das vergessen.« Erik blieb stehen und schien zu überlegen. »Versucht es in der Menagerie des Jardin des Plantes«, sagte er schließlich. »Ich habe sie über diesen Ort reden hören. Sie scheinen ihren Gefangenen nicht sofort

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