Die Erben der Nacht - Pyras
Städten des Westens weniger geworden, sie scheinen sich auch hauptsächlich gegen Landstreicher und Tagelöhner, Dirnen und Diebesgesindel zu richten. Ich habe mich schon oft gefragt, was dahintersteckt. Wissen die Vampire, dass die Methoden der Kriminalpolizei immer ausgefeilter werden und sie Morde unerbittlich verfolgen? Besonders wenn das Opfer aus der besseren Gesellschaft stammt?«
»Natürlich wissen wir das«, rief Alisa. »Für wie einfältig hält der uns? Gerade aus diesem Grund haben die Clans beschlossen, die Menschen nicht mehr zu töten, sondern nur so viel Blut von ihnen zu nehmen, dass sie sich wieder erholen können.«
»Alle Clans?«, wandte Franz Leopold ein. »Jener geheimnisvolle in den rumänischen Bergen offensichtlich nicht, wenn wir dem Autor Glauben schenken können. Und - nebenbei bemerkt - nehmen es unsere Freunde, die Pyras, damit auch nicht so genau.«
»Ruhe!«, herrschte ihn Joanne an. »Wir wollen noch mehr erfahren.«
»Ich schweife ab«, schrieb der Autor. »Ich war bei den grausigen Vampiren der Karpaten, die nicht nur den Tod in die Dörfer bringen. Sie holen sich auch manch einen Menschen, der mehr zu beklagen ist als die Toten, deren Körper die Familien begraben können und deren Seelen zum Allmächtigen aufsteigen. Diejenigen, die sie rauben, erwartet ein schlimmeres Schicksal. Die Vampire machen sie zu ihresgleichen. Man sagt, sie saugen ihre Opfer aus und zwingen sie, im Augenblick des Todes vom Blut des Vampirs zu trinken. Das Opfer stirbt scheinbar, sein Herz hört auf zu schlagen, sein Atem stockt,
doch in der folgenden Nacht wandelt es sich zu einem unt oten Blutsauger, der ihnen in aller Ewigkeit zu Diensten stehen muss.«
»Das wissen wir auch«, sagte Luciano mit einer ungeduldigen Geste.
»Ja, aber beunruhigend ist, dass es der Autor weiß und so deutlich niedergeschrieben hat«, sagte Alisa. »Man kann nur hoffen, dass dies kein Werk ist, das eine Verbreitung wie die Romane von Dumas oder Hugo hat.«
Ivy nickte. »Vor allem wenn er zu den Methoden kommt, Vampire zu vernichten. Denn ich gehe jede Wette ein, dass er sich in diesem Werk auch damit beschäftigt.« Sie sah Erik fragend an. Der nickte.
»Wie heißt der Autor eigentlich?«, wollte Franz Leopold wissen.
»Es soll von einem Ungarn namens Ármin Vámbéry sein«, gab Erik Auskunft. »Ob er ein Mensch ist, bleibt fraglich.«
Er klappte das Buch zu. »Wolltet ihr nicht die Oper besichtigen? Wir haben lange genug gewartet. Die Gäste haben das Haus verlassen und auch die Künstler und Arbeiter sind auf dem Weg zu ihren Familien.«
Sosehr sich Alisa darauf gefreut hatte, die berühmte Garnier-Oper zu sehen, so hin- und hergerissen war sie nun. War es nicht wichtiger zu erfahren, was in dem Buch stand?
»Ich kann euch weitere interessante Stellen heraussuchen«, bot Erik an. »Wir können sie lesen, wenn ihr wiederkommt.«
»Gut, wenn das so ist«, gab Alisa nach.
Das Phantom ruderte sie wieder über den See und führte sie dann über verschlungene Pfade immer höher, bis sie die unteren Kulissen der Opernbühne erreichten. Er zeigte immer mal wieder auf eine der riesigen, bemalten Holzkonstruktionen und bunten, schweren Leinwände und nannte ihnen die Oper und die Szene, in der sie auf der Bühne zu sehen waren.
»Das ist aus Faust , zweite Szene, und das aus Nabucco, erster Aufzug. Das hier gehört zu Lohengrin , die Hochzeitsszene.«
»Ich würde das, was in dem Buch steht, nicht so ernst nehmen. Der Schreiber hat vielleicht nur eine blühende Fantasie«, sagte Luciano, der ein wenig zurückgeblieben war.
»Dafür nennt er aber eine Menge Details und weiß gut über Vampire Bescheid«, gab Ivy zu bedenken.
»Ja, stimmt schon«, musste Luciano einräumen. »Das ist jedoch kein Beweis, dass es in Rumänien wirklich noch einen Clan gibt. Das zumindest kann eine Erfindung sein. Er hat anderswo etwas über Vampire erfahren, mag ja sein, und lässt sie nun in Rumänien ihr Unwesen treiben.«
Alisa gesellte sich zu ihnen. »Das ist eine Möglichkeit. Anderseits muss ich immer an diese Vampire denken, in deren Begleitung Leandro uns in Irland verfolgt hat. Sie wollten uns Böses! Und sie waren von keinem Clan, den wir kennen. Selbst wenn sie sich von ihrer Familie losgesagt hätten, müssten sie dann nicht noch ihren unverkennbaren Geruch mit sich führen?«
Ivy nickte. »Ja, genau das hat mir sehr viel Kopfzerbrechen bereitet. Wenn es wirklich noch einen rumänischen Clan gäbe, dann würde dies
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