Die Erben der Nacht - Pyras
Orchester und entsprechenden Sängern durchaus zu meistern. Und ich werde nur die Besten in meiner Oper dulden!«
»Ist es deine eigene Komposition?«, fragte Ivy und trat näher. Sie ließ den Blick über die Notenblätter wandern, soweit sie nicht von Eriks Griff verdeckt wurden. »Willst du uns nicht daraus vorspielen? Wird das eine Oper?«
Erik nickte. »Ja, es ist die Geschichte von Don Juan, dem die Frauen nicht widerstehen konnten.«
»Lass hören!«, forderte Franz Leopold ihn auf und gab den Klavierstuhl frei.
»Das Werk ist noch nicht ganz fertig. Ich muss noch an einigen Tonsprüngen feilen und auch die Besetzung der Orchesterstimmen ist an manchen Stellen noch nicht perfekt.«
Franz Leopold hob die Schultern. »Da wir kein Orchester zur Demonstration hierhaben, ist das egal.«
Erik zögerte noch immer, und es waren wohl Ivys Lächeln und ihr Bitten, die ihn doch noch dazu bewogen, am Klavier Platz zu
nehmen. Allerdings sprang er sofort wieder auf, ohne auch nur eine Taste berührt zu haben.
»Nein! Nein, das Klavier ist ein zu triviales Instrument, um einen Eindruck des Werks zu vermitteln!«, rief er mit einer Stimme, die nach Verzweiflung klang. Er eilte zur Orgel hinüber. Die Notenblätter ließ er zurück. Offensichtlich brauchte er sie nicht mehr. Die komplizierten Folgen der gegeneinanderlaufenden Stimmen waren alle in seinem Kopf.
Die Musik war so gewaltig, dass Alisa nicht wusste, ob sie sie ertragen konnte, oder ob sie lieber vor dieser unheimlichen Macht davonlaufen sollte, die die Sinne mit unsichtbaren, aber festen Bändern umspann und gefangen nahm. Diese Musik war schön und schrecklich zugleich. Und sie war gefährlich! Der Klang aus den Orgelpfeifen rann kalt und heiß durch ihre Adern und schüttelte ihren ganzen Körper. Dann wurden die Töne sanfter, die Melodie weicher. Erik begann zu singen. Mit offenen Mündern starrten die Vampire ihn an. Selbst Franz Leopold konnte sich dem Zauber nicht entziehen, obwohl der Kampf in seiner Miene abzulesen war. Es würde immer ein Rätsel bleiben, wie ein Mensch, dem die Natur das Aussehen eines Scheusals gegeben hatte, eine solch reine und betörende Stimme haben konnte. Als Erik geendet hatte und die Musik verklungen war, standen sie alle stumm da. Keiner konnte und wollte den Zauber durchbrechen, der unsichtbar noch in der Luft hing.
Alisa begann zu verstehen, warum Ivy von Erik fasziniert war. Er glich keinem anderen Menschen, dem sie bisher begegnet war, auch nur annähernd.
GESCHICHTE EINES UNGARISCHEN VAMPIRFORSCHERS
Es war Erik, der die Stille auflöste. Er erhob sich und deutete auf den Torbogen, der in seine Bibliothek führte. »Wolltet ihr euch nicht die Bücher ansehen?«
Das war ein Stichwort, dem Alisa nicht widerstehen konnte. Sie strahlte Erik an und dankte ihm überschwänglich. Dann eilte sie durch das Gemach auf den Bogen zu, hinter dem sich die handgeschriebenen und gedruckten Schätze bis an die Decke stapelten. Franz Leopold folgte ihr, während Luciano sich mit einem Seufzer auf einem der Sessel niederließ. Auch Joanne hielt offensichtlich nicht viel von Büchern. Sie schlenderte lieber durch das Gemach und bewunderte die Gegenstände, die Erik aus den exotischen Ländern mitgebracht hatte, durch die er im Laufe seines Lebens gereist war. Am längsten verweilte die Pyras bei der Vitrine mit den Waffen.
»Der Dolch dort gefällt mir«, sagte Joanne und deutete auf eine zierliche Waffe, deren kurze, gebogene Klinge sehr scharf wirkte. Der Griff war mit bunten, geschliffenen Steinen und Perlen besetzt, während die Klinge in seltsam dunkler blauer Farbe schimmerte.
»Eine interessante Wahl«, sagte Erik, der zu ihr getreten war. »Er hat einst der Khanum, der Mutter des Schahs von Persien, gehört - der mächtigsten Person des Landes, auch wenn der Schah das nicht gerne hören würde. Sie beherrschte zwei Dinge: das politische Intrigenspiel, an dessen Ende irgendjemand den Tod fand oder in Verbannung geschickt wurde, und den Biss der Viper, wie es die Sklaven des Palasts hinter vorgehaltener Hand nannten. Der schnelle, lautlose Tod durch diesen Dolch. Das Gift auf seiner Klinge ist so stark, dass ein winziger Schnitt in der Haut genügt. Es führt in nur wenigen Stunden zu einem qualvollen Tod, den nichts und niemand aufhalten kann.« Erik sah die Vampirin an. »Nein, ich glaube, das wäre nichts für dich. Vermutlich würdest du dir Magengrimmen von dem vergifteten
Blut holen. Verlass dich lieber auf deine
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