Die Erben der Nacht - Pyras
vieles erklären. Selbst die Beschreibung ihrer Erscheinung stimmt mit dem überein, was wir gesehen haben.« Sie verstummte und spielte an dem Echsenring an ihrem Finger. War der machtvolle Schatten vielleicht auch einer von ihnen? Aber was um alles in der Welt wollte er von ihr, dass er sie nach Rom und nun bis nach Paris verfolgte?
Sie ging in Gedanken versunken hinter den anderen her, bis sie das weitläufige Foyer erreichten, von dem aus sich das große Treppenhaus öffnete.
»Das ist ja unglaublich«, hauchte Alisa, und selbst Franz Leopold entschlüpften Worte des Staunens und der Anerkennung.
»Da könnt ihr in Wien nicht mithalten, nicht wahr?« Luciano genoss es offensichtlich, die Dracas von den Franzosen überflügelt zu sehen. Falls sich Franz Leopold darüber ärgerte, gab er sich nicht die Blöße, es zu zeigen.
»Nein, unser Opernhaus kann sich nicht mit diesem messen. Ich wüsste gar kein Gebäude in Wien, das dieser Pracht und diesem dramatisch inszenierten Raum gleichkäme.«
Erik war von diesem Lob entzückt. »Ich habe viele Nächte über den Entwürfen gebrütet, bis ich die Pläne Garniers perfektionieren konnte.
So ist keine Treppenstufe gleich der anderen. Sie schwingen sich erst nach außen und dann nach innen und scheinen so der lebendigen Natur mit ihrem Wachsen und Vergehen verbunden. Wir haben für die Säulen und Böden Steine in der ganzen Welt zusammengesucht. Mehr als zwei Dutzend verschiedenfarbige Marmore, Granite und andere Gesteine sind hier harmonisch zusammengefügt. Dort ist beispielsweise der meergrüne Marmor und hier schwarzer Dinant-Marmor, daneben der königsgelbe Veroneser Marmor und violette Breccie aus Serravezza. Der Onyx stammt aus Algerien, der Jaspis vom Mont Blanc.«
Erik schaltete das Gaslicht einiger Lüster ein, um die Farbenpracht hervorzubringen, und eilte mit jugendlicher Begeisterung von einem Detail zum nächsten: die prächtigen Mosaikböden, die kunstvollen Kapitelle der Säulen, die Figuren und Bilder, die vergoldeten Rahmen der Spiegel.
Vor den Spiegeln, die nur Eriks Gestalt wiedergaben, mochten sich die Vampire nicht aufhalten. Rasch eilten sie weiter. Sie hatten erst einen kleinen Teil der Oper besichtigt, als Ivy sich bei Erik entschuldigte und zur Rückkehr mahnte. Er wirkte enttäuscht, schlug aber sogleich vor, die Führung ein anderes Mal fortzusetzen.
»Außerdem müsst ihr unbedingt am Samstag in zwei Wochen zur Aufführung kommen. Es wird ein großes Ereignis, über das ganz Paris jetzt schon spricht. Verdi hat zugesagt, seine Aida hier selbst zu dirigieren!«
Alisas Augen glänzten. »Oh ja, das wäre wunderbar. Wir werden es schon einrichten können, dass wir die Vorstellung nicht versäumen!«
»Wobei ich vermute, dass außer mir keiner über die angemessene Garderobe für diesen Abend verfügt«, wandte Franz Leopold ein und ließ den Blick mit erhobenen Augenbrauen über seine Begleiter schweifen, mit denen wirklich kein Staat zu machen war. Erik stimmte dem Dracas zu. Alisa seufzte.
»Wir werden bis dahin passende Gewänder für uns besorgt haben«, sagte Ivy bestimmt. Alisa sah sie neugierig an. Als sie sich kurze Zeit später von Erik verabschiedet hatten und auf dem Heimweg waren, fragte sie, wie Ivy das anstellen wollte.
»Die Pyras haben sicher keine feinen Kleider in irgendwelchen Särgen gelagert - und wenn, gehe ich jede Wette ein, dass sie hoffnungslos veraltet sind und nach Moder riechen.«
»Das könnte schon sein«, gab Joanne heiter zu. »Ich kann mich nicht erinnern, dass je Mitglieder der Familie zu einem Ball oder ins Theater gegangen wären.«
»Welch Verschwendung!«, meinte Franz Leopold.
»Da fällt mir ein, irgendwo müssten die Kleiderkisten noch sein«, meinte Joanne und zog nachdenklich die Stirn kraus.
»Welche Kleider?«, fragte Alisa begierig. »Luxuriöse Abendgarderobe?«
Joanne hob die Schultern. »Luxuriös ganz sicher, ja. Ich weiß nicht mehr, wer sie aus der Abtei in die Kavernen heruntergebracht hat. Das war irgendwann zur Zeit der Revolution, als das Val de Grâce noch eine Abtei der Benediktinerinnen war. Daher auch die prachtvolle Kuppelkirche und der Kreuzgang. Erst während der Revolution wurde es zu einem Hospital des Militärs. Damals wurden viele Orden aufgelöst oder vertrieben.«
»Und nun willst du uns ein paar alte Ordenskutten der Schwestern für die Oper empfehlen?« Alisa wusste nicht, ob sie lachen oder sich ärgern sollte.
»Nein, das sind keine Ordenskleider«,
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