Die Erben der Nacht - Pyras
um sich die Hände ein wenig zu wärmen oder sich ein Schwein am Spieß über den Flammen zu rösten«, spottete Franz Leopold, doch Joanne nickte Luciano anerkennend zu.
»Ja, sie haben ein Feuer gemacht, und ich frage mich, warum.«
Ivy und Alisa sahen sie an. »Vielleicht ist es wirklich nur ein Feuer, um sich ein Mahl zu bereiten und sich zu wärmen. Das ist für Menschen nicht ungewöhnlich. Hier unten hausen doch einige, die an der Oberfläche aus verschiedenen Gründen verfolgt werden. Sei es nun, dass sie rauben und stehlen oder weil sie einer anderen Politik anhängen und bei irgendeiner Revolution auf der falschen Seite standen«, schlug Alisa vor.
Ivy nickte zustimmend. »Haben nicht Claude und Jolanda von diesen Menschen erzählt, denen nicht wenige eurer Servienten und noch mehr eurer täglichen Opfer entstammen?«
»Aber doch nicht hier!«, rief Joanne, als sei dies offensichtlich. »Was sollten sie hier zu suchen haben? Sie sind im Norden in den Gipshöhlen oder ganz im Süden der Stadt in den Steinbrüchen von Montsouris, wo die meisten Höhlen noch offen zugänglich sind. Hier sind viele Gänge vermauert oder führen durch Abwasserkanäle direkt zu belebten Straßen. Keine gute Möglichkeit, unbemerkt ein- und auszusteigen. Gerade deshalb haben sich einige von uns mit ihren Särgen in diese verborgenen Höhlen zurückgezogen, die die Menschen nicht zufällig auf der Suche nach einem Schlafplatz betreten.«
»Und was brennt dann dort?«, fragte Luciano.
»Gerade diese Frage beunruhigt mich«, gab Joanne zu und wandte sich einer Abzweigung nach Westen zu, die sie von ihrem Rückweg zum Val de Grâce wegführte. Keiner ihrer Begleiter hatte gegen diesen Umweg etwas einzuwenden. Sie waren ebenfalls neugierig.
»Wo sind wir hier?«, fragte Luciano nach einer Weile.
Joanne führte sie eine enge, gewundene Treppe hinauf. »Wir kommen nun zu den Höhlen unter dem Jardin du Luxembourg.«
Auch hier gab es Kavernen, Stollen und Schächte auf mehreren Ebenen. Der Rauch zog allerdings eindeutig von einer der höher gelegenen zu ihnen herab. Joanne wurde immer unruhiger.
»Was vermutest du?«, drängte Alisa.
»Die Särge!«, sagte Ivy an ihrer statt. Ob sie das selbst vermutete oder in Joannes Gedanken gelesen hatte, wusste Alisa nicht, jedenfalls nickte die Pyras mit grimmiger Miene.
Die Erben folgten einem niederen, gewundenen Gang, der eindeutig
viel später als die Stollen gegraben worden war, bis er sich zu einem großen rechteckigen Raum weitete. Nun war der Geruch beißend und umwallte sie in dunklen Schwaden. Joanne, die als Erste die Höhle erreichte, blieb so dicht vor dem Eingang stehen, dass Luciano sie rüde zur Seite schieben musste, damit die anderen auch etwas sehen konnten. Wobei es nicht viel zu sehen gab. Der Rauch kam von einem bereits niedergebrannten Feuer in der rechten Ecke. Was vielleicht einmal fünf oder sechs massive Holzsärge gewesen waren, war jetzt nur ein Haufen Kohle. An manchen Stellen glühte es noch rot. Doch auch sie würden bald verlöschen. Es gab in der Höhle keine weitere Nahrung für die Flammen. Alisa trat näher, um die Reste zu betrachten und die Witterung aufzunehmen, als sie deutlich ihren Namen hörte. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer sie rief. Dennoch wandte sie sich ihm zu.
»Ah, Hindrik, wie schön, dich zu sehen!«
»Heuchlerin!«, schimpfte er. »Ich muss nicht fragen, was ihr hier zu suchen habt. Ihr musstet ja unbedingt auf eigene Faust herausfinden, was die ungewöhnlichen Aktivitäten der Menschen hier unten zu bedeuten haben. Es kam euch natürlich nicht in den Sinn abzuwarten, bis die Pyras der Sache auf den Grund gegangen sind und euch davon berichten?«
Alisa schwieg. Wenn er dachte, sie wären die ganze Zeit auf den Spuren der Menschen durch die Gänge gelaufen, konnte ihr das nur recht sein. Es war nicht nötig, das Phantom zu erwähnen.
»Viel herausgefunden haben wir nicht«, sagte sie stattdessen, was ja auch der Wahrheit entsprach. »Wisst ihr denn inzwischen, was die Menschen suchen und warum sie die Särge angezündet haben?« Sie sah in die Runde. Natürlich war Hindrik nicht alleine hier. Neben Matthias zählte Alisa noch fünf Pyras, von denen sie allerdings nur Gaston mit Namen kannte. Zu ihrer Enttäuschung waren sie nicht bereit, den Erben irgendetwas zu erzählen. Sie forderten sie nur auf, in die Kavernen unter dem Val de Grâce zurückzukehren, wo sich im Augenblick alle Pyras versammelten. Eine Wahl
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